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Das Ende der Zeit
Der Weg der Schweiz mag zwar über 35 Kilometer den Mikrokosmos des Landes und sei-
ner Geschichte vergegenwärtigen, doch das 20. Jahrhundert kommt kaum vor, weil sich
die Eidgenossen hier aus allem heraushielten. Für die Schweizer Männer bedeutete das, im
alten Trott weiterzumachen, die Schweizerinnen hingegen gerieten ins Abseits. Dass die
Buebe nicht in den Krieg zogen, hieß, dass es für die Meitli daheim keine Arbeitsplätze
gab, also auch keinen Anstoß für Reformen. Der Wirbelwind der Veränderung, der durch
Europa fegte, ließ die Schweiz, quasi im Auge des Zyklon, unberührt - sollten sich die
Stürme doch anderswo austoben. Nur einmal, im Jahr 1940, war die Position der von den
Achsenmächten umringten Schweiz bedroht, obwohl Nazideutschland nicht gerade darauf
erpicht war, in den Bergen gegen eine Armee aus Scharfschützen und Guerillakämpfern
anzutreten - das ist jedenfalls die typisch schweizerische Version der Geschichte. Das
Überleben der Schweiz ist beinahe so mythenumrankt wie das Großbritanniens im selben
Konflikt, wobei beide Länder den Krieg durch die rosa Heldenbrille betrachten. Die
Schweizer Einstellung zu Krieg und Frieden - und besonders zum Zweiten Weltkrieg -
werde ich in einem anderen Kapitel noch näher beleuchten.
Als der Wandel endlich kam, ging er von innen aus. In fast jedem europäischen Land
gibt es die ewig Unzufriedenen: Deutschland hatte die Baader-Meinhof-Gruppe, Italien die
Roten Brigaden, Großbritannien die IRA und die Schweiz Les Béliers. Diese Separatisten
wollten aus Jura, damals Teil des Kantons Bern, einen eigenständigen Kanton machen,
aber da wir uns in der Schweiz befinden, wurden weder Autobomben gezündet noch At-
tentate verübt. Die Schlacht wurde an der Wahlurne und nicht mit dem Gewehr im An-
schlag ausgetragen, obwohl es gelegentlich zu Krawallen kam und sogar Molotowcocktails
geworfen wurden. Es dauerte eine ganze Weile und brauchte mehrere Volksabstimmun-
gen, aber 1979 wurde Jura der jüngste Kanton. Mit seinen 70 000 Einwohnern ist er nun
der letzte Abschnitt auf dem Weg der Schweiz, ehe dieser in Brunnen an der Grenze zwi-
schen dem Vierwaldstätter See und dem Urner See endet. Der Dampfer legt an, und der
Bus für die zehnminütige Fahrt nach Schwyz, meiner letzten Station, steht schon bereit.
Schwyz, als Namensgeberin nicht nur des Kantons, sondern des ganzen Landes, ist ein
unaufdringlicher Ort. Das auffälligste Gebäude ist das Rathaus, dessen Fassadenmalerei
Szenen der frühen Schweizer Geschichte und den Sieg bei Morgarten zeigt. Ein weiteres
Stück Geschichte ist ganz in der Nähe untergebracht: Die Schweizer Geburtsurkunde hat
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