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Ronald und Heidi
Bei McDonald's ist Heidi-Woche. Und zum ersten Mal, seit ich vor zehn Jahren aufgehört
habe, tote Kühe zu essen, zieht mich das goldene M magisch an. Nichts einfacher als dieser
Tabubruch, denn wie in den meisten europäischen Städten ist es auch in Bern nirgends
weit zu Hamburger-Ronald: Allein drei seiner Burgerläden liegen in fettspritzender Reich-
weite voneinander.
Ich versuche mir auszumalen, was mich erwartet. In einer japanischen Woche gibt es
Teriyaki-Burger, in einer mexikanischen wird ein bisschen Salsa auf die Brötchenhälften
geschmiert. Aber in einer Heidi-Woche? Wie kann man einen Burger dazu passend ver-
hunzen? Wird er mit einer karierten Serviette aufgepeppt? Oder jodelt die Burgerschachtel
beim Öffnen wie diese kleinen runden Spielzeuge, die muhen, wenn man sie umdreht?
Das Problem ist, dass meine Erwartungen hinsichtlich der Heidi-Woche reichlich vage
sind, weil ich kaum etwas über das Mädchen weiß. Zwar begegnet einem die unangefoch-
tene Miss Schweiz auf Schritt und Tritt, aber ich kann mich einfach nicht an ihre Ge-
schichte erinnern. Da hüpft, untermalt von schmalziger Musik, aus dem Nebel des Verges-
sens zwischen Flipper und Black Beauty grobkörnig ein kleines Mädchen.
Es ist ein verregneter Sonntag, ich bin wieder zehn Jahre alt und liege, den Kopf auf die
Hände gestützt, neben meiner Schwester im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Vor mir das
unglaublich niedliche Heidi, der brummige Großvater, der schweigsame Geißenpeter und
die Ziegen. Eine Menge Ziegen. Vielleicht bieten sie in der Heidi-Woche bei McDonald's ja
Ziegenfleisch-Burger an? Warum nicht? Es gab schließlich schon Rindfleisch-, Hühnchen-
und Gemüseburger. Wobei Ziege nicht sehr lecker klingt, eher sehnig-knorpelig von all
dem Rumgespringe an steilen Hängen. Selbst wenn ich rotes Fleisch essen würde, wäre
Ziege nicht meine erste Wahl.
Das Bimmeln einer Straßenbahn versetzt mich wieder zurück nach Bern, und ich eile
über die kopfsteingepflasterte Straße. Ein hilfreiches Plakat verrät mir, dass es nur 15 Se-
kunden bis zum nächsten McDonald's sind, doch ich schaffe es in zehn, weil ich so darauf
brenne, die erwarteten Zöpfchenfrisuren, Kuhglocken, Ziegenburger und karierten Servi-
etten zu sehen. Und was wird mir dort geboten? Ein blitzblanker amerikanischer Take-
away, der überall auf der Welt sein könnte, verkauft monströse Cholesterinberge - norma-
le Hamburger mit Rösti und Emmentaler zwischen Fleisch und Brötchenhälften. Kein Jod-
ler ist zu hören, kein einziges Karomuster zu sehen. Und schon gar keine Ziegen.
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