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Auf dem Dach Europas
Die erste Strecke bringt mich vom Bödeli, der Schwemmebene rund um Interlaken, in ein
tief eingeschnittenes Trogtal, das sich mitten durch das Herz der Berge zieht. Dieses von
Gletschern geformte Tal gleicht einer Seite aus dem Lehrbuch der Geologie: Steilhänge, die
1000 Meter hoch emporragen, ein breiter flacher Talgrund, brautschleierartige Wasserfälle,
ein Fluss, viel zu klein, um diese grandiose Kulisse geschaffen zu haben. Das Lauterbrun-
nental ist einer der atemberaubendsten Orte der Schweiz, aber leben möchte ich dort
nicht. Zu oft ist es in Schatten und Nebel gehüllt, vor allem im Winter, wenn die Sonne
kaum den Talboden erreicht. Da ist es an den sonnigen Plätzen oberhalb der Steilwände
doch schöner, und dorthin bringt mich der nächste Zug.
Die Züge der Berner Oberland Bahn und der Wengernalpbahn (kurz BOB und WAB )
halten am selben Bahnsteig, weshalb das Umsteigen hier sehr viel bequemer ist als in In-
terlaken. Was man von den Sitzen allerdings nicht behaupten kann. Aber angesichts der
großartigen Landschaft vergisst man bald den tauben Po und die Krämpfe in den Waden.
Erstaunlich, wie schnell wir den Talboden hinter uns lassen und die Bauernhäuser und
Autos wie Spielzeug wirken. Kurz bevor wir das (autofreie) Wengen erreichen, bietet sich
der beste Blick auf das ganz Tal, das auf beiden Seiten von mächtigen Bergen begrenzt
wird. Wenige Meter bevor wir den Wald hinter uns lassen und dieses Panorama auftaucht,
erblicken wir neben den Gleisen ein kleines Schild mit dem Bild einer Kamera. Damit wir
es nicht versäumen, auf den Auslöser zu drücken - wirklich aufmerksam! Und dies ist nur
der erste von vielen großartigen Ausblicken: Bevor Sie also auf halber Strecke die Kleine
Scheidegg passieren, müssen Sie vermutlich eine zweite Speicherkarte einlegen.
Wer glaubt, droben auf den Bergen gehe es ruhig und friedlich zu, irrt sich: Auf der
Passhöhe, der Kleinen Scheidegg, herrscht ein Trubel wie am Piccadilly Circus. Hier müs-
sen die Touristen für die letzte Teilstrecke bergauf umsteigen, und die Schweizer Wanderer
nehmen den Zug ins Tal. Auch der Pass selbst ist ein beliebtes Ausflugsziel, und zwar weil
er zu Füßen der Eiger-Nordwand liegt. Ein Teller Älplermakkaroni mit Blick auf diese ab-
schreckend steile, dunkle Felswand ist ein unvergleichliches Erlebnis für Auge und Gau-
men. Die Nordwand wird von den Schweizern auch Mordwand genannt wegen der vielen
Bergsteiger, die hier ihr Leben gelassen haben. Und da behaupten manche Leute, die
Schweizer hätten keinen Humor. Die erfolgreiche Erstdurchsteigung gelang einer Seil-
schaft mit Heinrich Harrer, der spätestens verkörpert durch Brad Pitt mit dem Film Sieben
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