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Die Kantone stellen sich vor
Die 26 Schweizer Kantone sind nicht größer als englische Grafschaften, verfügen aber
über die Macht amerikanischer Bundesstaaten. Jeder hat eine eigene Verfassung, ein eige-
nes Parlament, eigene Gesetze und Gerichte sowie eine Fahne. Auch setzt der Kanton die
Steuern fest, vergibt Autokennzeichen, hat eine eigene Polizei und kümmert sich um das
Bildungswesen. Wie es sich für ein föderales System gehört, ist der Kanton grundlegender
Baustein des Landes und verhindert eine zu große Machtkonzentration im Zentrum. Für
die Schweizer ist der Kanton emotional ebenso wichtig wie das Land, wenn nicht wichti-
ger. Aber weil es sich um die Schweiz handelt, ist die Sache nicht so leicht zu durchschau-
en.
Sechs der 26 sind eigentlich nur Halbkantone, nicht wegen ihrer Größe (es gibt Kantone,
die kleiner sind als diese Hälften), sondern in politischer Hinsicht. Die Halbkantone sind
den Kantonen rechtlich gleichgestellt; in fast allen Belangen des Alltagslebens, etwa der
Besteuerung, haben sie dieselben Rechte wie die anderen - außer wenn es um die politi-
sche Vertretung geht. Dann zählen die Halbkantone tatsächlich nur halb, was die Zahl der
Sitze im Parlament und die Stimmrechte bei einer Volksabstimmung angeht. Das politi-
sche System der Schweiz unterscheidet sich so grundlegend von anderen Ländern, dass
solche feinen Unterschiede große Bedeutung haben. Damit die sechs Halbkantone ganze
werden, wäre ein verfassungsrechtliches Erdbeben nötig, das das empfindliche nationale
Gleichgewicht - und damit das Fundament der Schweizer Regierung - erschüttern würde.
Überdies würde es einer jahrhundertealten geschichtlichen Entwicklung zuwiderlaufen,
und wenn in der Schweiz irgendetwas wichtiger ist als Politik, dann ist das die Geschichte.
So zerstritten sich etwa die beiden Hälften von Appenzell, Innerrhoden und Ausserrho-
den, wegen der Religion, und zwar im Jahr 1597, als solche Themen noch eine Rolle spiel-
ten. Während die Bewohner von Ausserrhoden protestantisch wurden, blieben die inneren
sechs Bezirke rund um das Dorf Appenzell katholisch, womit eine Spaltung unvermeidlich
wurde. Die Trennung wurde in aller Freundschaft vollzogen, beide Seiten stimmten über
die Frage ab, und die sechs inneren Bezirke bildeten Appenzell Innerrhoden. Mit 15 000
Einwohnern ist er der kleinste Kanton. Verglichen mit den 1,3 Millionen Bewohnern des
Kantons Zürich ist der Unterschied fast ebenso krass wie der zwischen Texas und Rhode
Island.
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