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Die Schweizer Vorstellung von Nord und Süd ist leicht zu begreifen, wenn man die
Kategorie oben und unten beiseite lässt. Für viele Nichtschweizer ist Norden gleichbe-
deutend mit oben und Süden mit unten. Man fährt rauf nach Hamburg oder Norwegen
und runter nach München oder Italien. Für die Schweizer geht es dabei jedoch nicht um
die Richtung, sondern um Höhenunterschiede. So fährt der Berner runter (nordwärts)
nach Basel, aber rauf (südwärts) nach Interlaken. Da aber ein Großteil der Schweiz in
den oder nördlich der Alpen liegt, ist der einzig wirklich südliche Landesteil der italie-
nischsprachige Kanton Tessin (Ticino) - kein Wunder, dass sich die Tessiner vom Rest des
Landes abgeschnitten fühlen. Wobei das Tessin eindeutig integriert ist im Vergleich zu
Graubünden, dem größten Kanton, der die geringste Bevölkerungsdichte aufweist. We-
gen seiner isolierten Lage hoch oben in den Ostalpen gehört er weder zum Norden noch
zum Süden, ist aber zentral für die schweizerische Sicht des eigenen Landes.
Wer nicht im schicken St. Moritz oder in Klosters Ski fahren geht oder zum Weltwirt-
schaftsgipfel nach Davos reist, hat von Graubünden wahrscheinlich noch nie gehört.
Während die meisten Ausländer in den Bergen der inneren Schweiz, also etwa in den
Bergen um Luzern und im Berner Oberland, Ferien machen, verbringen die Einheimi-
schen ihren Urlaub gern in der (relativen) Wildnis des Engadin mit dem einzigen Natio-
nalpark des Landes. Doch so schön Graubünden sein mag, noch interessanter ist die Re-
gion aus linguistischer Sicht, denn dank dem Rätoromanischen, einem lebenden Nach-
fahren des Lateinischen, ist sie der einzige dreisprachige Kanton. Für rund 35 000 Men-
schen ist das Rätoromanische - auch Rumantsch oder Romanisch - die Hauptsprache: ei-
ne kleine Gruppe, die sich dennoch fünf Dialekte leistet. Seit einem Referendum 1938 gilt
es als Landessprache, aber weil in der Schweiz alles etwas komplizierter ist, fungiert es
nicht überall als Amtssprache.
Laut einer typisch schweizerisch haarspalterischen Definition gilt es nur dort als
Amtssprache, wo die Behörden in Kontakt mit Romanischsprachigen treten. Bundesge-
setze und andere offizielle Verlautbarungen müssen nicht auf Romanisch erscheinen, und
außerhalb von Graubünden begegnet man der Sprache kaum. Im Vergleich zu den Räto-
romanen gibt es insgesamt doppelt so viele Bürger, die Englisch als ihre Muttersprache
angeben, aber immerhin haben Erstere ein modernes linguistisches Gütezeichen vorzu-
weisen: Seit 2007 können Romanischsprechende Google und Microsoft Office in ihrer
Sprache benutzen.
Mit seinen verschiedenen Sprachen (die große Mehrheit spricht Deutsch) und einer
klaren, aber herzlichen religiösen Spaltung ist Graubünden eine Art Schweiz im Kleinen.
Ehe man 1803 beschloss, sich den Eidgenossen anzuschließen, war Graubünden ebenso
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