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Bei näherer Betrachtung stellt sich dann heraus, dass in fast jedem Gebäude entweder
ein Restaurant oder ein Geschäft für Touristen ist, was den ästhetischen Eindruck ein
bisschen trübt. Milchprodukte aller Art quellen förmlich aus jedem Laden und türmen
sich draußen auf Tapeziertischen: Käse, Sahne, Buttertoffees und, mein persönlicher Fa-
vorit, confiture de lait , die Schweizer Variante von dulce de leche . Der Karamellcreme-
Aufstrich schmeckt einfach köstlich auf frischem weichem Brot - meine Vorstellung von
himmlischem Manna im Glas.
Alle Restaurants haben eine Freischankfläche auf dem Platz und scheinbar dieselbe
Speisekarte einschließlich »101 Arten, Käse zu essen«, so wie man an einer Hafenprome-
nade überall dieselben Fischgerichte angeboten bekommt. In Londons Chinatown habe
ich mir immer vorgestellt, dass eine einzige Großküche unter Tage alles kocht und das
Essen dann mit kleinen Bötchen in die verschiedenen Lokale transportiert. Vielleicht ist
es ja hier genauso.
In so einem überlaufenen Ort muss man unbedingt reservieren. Als wir uns aufs Gera-
tewohl ein Restaurant aussuchen, gibt uns die gestresste Bedienung mehr als deutlich zu
verstehen, dass unser Tisch aber höchstens zehn Minuten lang frei gehalten wird, danach
würde er an die nächsten wartenden Gäste vergeben. Wer tagein, tagaus solche Men-
schenmengen verköstigen muss, vergisst scheinbar manchmal die einfachsten Grundre-
geln der Höflichkeit. Allerdings sind die Bedienungen in der Schweiz meist ebenso gera-
deheraus wie die übrigen Bewohner dieses Landes. Hier gibt es keinen Small Talk, und
auf verbindliche Nettigkeiten muss man ebenso verzichten wie auf Rüschen an den
Schürzen und anderen Tand. Auch dass sich eine Bedienung mit Vornamen vorstellt wie
in angelsächsischen Ländern, ist einfach unvorstellbar. Das wäre für einen Schweizer viel
zu intim.
Als wir, immer mit Blick auf die Uhr, von der Schlossbesichtigung zurückkehren, ist
auf dem sonnigen Platz der Teufel los. Sämtliche Restaurants sind rappelvoll mit Gästen,
die ihr Quantum Käse verspeisen, meist in geschmolzener Form aus einem Topf heraus.
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