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dem Hebel, legt die obere Platte darauf, bedient den Fußhebel - und heraus kommt et-
was, das einem nackten Taschenmesser ähnelt.
Ich habe für diese Grundmontage etwa fünf Minuten gebraucht, aber ein erfahrener
Arbeiter schafft das in 45 Sekunden. Zumindest ist der nächste Schritt weniger feinme-
chanisch. Man hämmert die vorstehenden Messingspitzen flach, legt die roten Kunst-
stoffdeckel darauf, quetscht alles in einem Schraubstock zusammen, ölt die Klingen,
steckt die Pinzette und den Zahnstocher in die vorgesehenen Öffnungen und befestigt
einen Schlüsselring. Mein Messer ist fertig! Ein Victorinox Spartan , 91 Millimeter lang, 60
Gramm schwer, mit zwölf Standardfunktionen. Als ich es in der Hand halte, fühle ich
mich fast als Schweizer.
Eine Stunde später bekomme ich im Shop der Fabrik einen Eindruck davon, wie groß
das Victorinox-Messersortiment ist. Mein Spartan hat im Lauf der Jahre viele Geschwis-
ter bekommen. Da gibt es zum Beispiel das Sportsman , rätselhafterweise mit einer Nagel-
feile, für die meisten Sportler nicht wirklich unentbehrlich. Das Manager ist eins der we-
nigen Taschenmesser mit einem Kugelschreiber, während das Angler einen Fischent-
schupper aufweist, der gleichzeitig als Lineal dient; allerdings ist es nur sieben Zentime-
ter lang und von daher wohl zum Messen von Elritzen gedacht. Außerdem gibt es das
Camper , das Explorer , das Ranger und eine ganze Reihe andere mit markanten passenden
Namen, wobei ich finde, dass das Escort aus der Reihe fällt. Die Spitzenstellung nimmt
fraglos das SwissChamp ein, es hat 22 Werkzeuge mit 33 Funktionen, darunter fünf ver-
schiedene Schraubenzieher. Wer könnte mehr verlangen?
Tatsächlich gibt es bei Victorinox hundert verschiedene Modelle des Schweizer Armee-
messers. Pro Arbeitstag werden 28 000 produziert (also sechs Millionen pro Jahr), was
ziemlich viel klingt, bis man erfährt, dass die Firma doppelt so viele Haushalts- und Be-
rufsmesser herstellt.
Am befremdlichsten in der Victorinox-Palette finde ich das für Kinder gedachte Ta-
schenmesser. Während Kinder in anderen Ländern dem ersten Fahrrad, dem ersten Sony
oder dem ersten Pony entgegenfiebern, bekommen sie in der Schweiz My First Victorin-
ox . Es ist rot oder blau und hat zwei Werkzeuge: eine große Klinge und ein Allzwecku-
tensil, das Flaschen und Dosen öffnet, Draht abisoliert und Schrauben dreht. Zugegeben,
die Klinge ist abgerundet, trotzdem ist es ein irritierender Anblick, wenn zwei unschuldi-
ge Kinder im Fernsehen stolz ihre ersten potenziell tödlichen Waffen präsentieren. Ande-
rerseits sind Schweizer Kinder natürlich viel zu vernünftig, um mit ihren Taschenmes-
sern irgendwelchen Unfug anzustellen.
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