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Festung Schweiz
Nach meinem Besuch an den Seen im äußersten Osten und Westen der Schweiz, wo ich
Frieden suchte, stehe ich jetzt an einem See mitten im Land und betrachte den Krieg. Bes-
ser gesagt, ich sehe mir an, wie die Schweiz einen Krieg überlebt hat. An den friedlichen
Ufern des Vierwaldstätter Sees befindet sich, tief in den Berg gegraben und von außen
kaum sichtbar, ein alter Armeebunker. Die Festung Fürigen wurde 1942 als Teil eines riesi-
gen Netzes unterirdischer Befestigungswerke gegen eine deutsche Invasion geschaffen.
Soldaten waren dort bis 1987 stationiert (anscheinend hat ihnen niemand gesagt, dass der
Krieg vorbei war), anschließend wurde der Bunker in ein Museum umgewandelt. Und
zwar in ein ziemlich gruseliges. In einen langen Armeemantel gehüllt (drinnen herrschen
etwa zehn Grad), gehe ich durch lange, nasskalte, grob in den Fels gehauene Korridore, die
von flackernden Lampen erhellt werden. Aufgereihte Gewehre, riesige Kanonen, die Gra-
naten zwölf Kilometer weit feuern können, ein Operationssaal und eine Atomfilterkam-
mer zur Luftreinigung nach einem Nuklearschlag zeugen davon, dass dieses Bauwerk
nicht für den Frieden errichtet wurde. Die engen Mannschaftsräume und eine Dusche für
hundert Personen zeigen überdies, dass auch der Komfort nicht im Vordergrund stand. Die
Anlage war Teil der Festung Schweiz. Im Falle einer deutschen Invasion wären die Städte
aufgegeben worden, und die Armee hätte, in solchen Bergbunkern verschanzt, bis zum
letzten Mann gekämpft. Das ist bewaffnete Neutralität in ihrer extremsten und fragwür-
digsten Form. Ein fesselnder Anblick, der die Schweizer »Allzeit-bereit«-Mentalität ver-
deutlicht.
Kein anderes Land weltweit betreibt die Neutralität wie die Schweiz. Die Eidgenossen
haben seit fast 500 Jahren Erfahrung damit, sie wissen also genau, wie verzwickt es ist,
nicht verwickelt zu werden, nicht Partei zu ergreifen, zwischen den Stühlen zu sitzen.
Oder doch nicht? Die Schweiz führt mehr Waffen aus als China, hat die weltweit viert-
höchste Rate an privatem Schusswaffenbesitz und gibt mehr für Schwerter als für Pflug-
scharen aus. Bewaffnete Neutralität ist ein durch und durch schweizerisches Konzept, das
sowohl das Land selbst wie seine Beziehungen zur Außenwelt definiert. Und es erfreut
sich bei den Eidgenossen nach wie vor großer Beliebtheit, denn Umfragen zeigen durch-
gängig, dass die Armee wie auch die Neutralität als unverzichtbar gelten. Das überrascht
kaum, wenn man bedenkt, dass die Armee als wichtiges Bindeglied im Land des Kantönli-
geists fungiert, während die Neutralität wesentlicher Teil der nationalen Identität ist.
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