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Ein Weltdorf
So klein es ist, Genf verkörpert den hochgeschätzten Internationalismus und die in Ehren
gehaltene Neutralität der Schweiz. Hier hat nicht nur das Internationale Rote Kreuz seinen
Sitz, sondern auch ein Büros der Vereinten Nationen und viele ihrer Organe wie UNICEF
und die Weltgesundheitsorganisation WHO . Im Lauf der Jahre hat sich hier eine ganze
Menagerie internationaler Organisationen angesiedelt und aus Genf eine wahre Weltstadt
gemacht. Manche, wie die Welthandelsorganisation WTO , sind bekannt, von anderen hat
man noch nie gehört. Wer kennt schon die International Road Federation? Oder das Inter-
national Textiles and Clothing Bureau? Und die International Organization for Standardi-
zation - ein geradezu Orwell'scher Name? Ferner gibt es hier die International Union for
the Protection of New Varieties of Plants, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass sie
dort viel zu tun haben. Das sind nur einige von 23 internationalen Körperschaften mit
Hauptsitz in Genf, die gemeinsam mit den 250 dort stationierten Nichtregierungsorganisa-
tionen 42 000 Menschen (mehr als ein Fünftel der Einwohner) beschäftigen: eine Stadt in
der Stadt. Mit all den Diplomaten, Staatsdienern aus aller Welt und ihrem Anhang er-
staunt es kaum, dass 43 Prozent der Genfer Bevölkerung keine Schweizer sind. Vielleicht
unterhält die Schweiz deshalb selbst eine diplomatische Vertretung in Genf, deren offiziel-
le Rolle allerdings die Kontaktpflege mit den Vereinten Nationen und all den anderen Or-
ganisationen ist.
Viele dieser Organisationen sind im Internationalen Viertel rund um das monumentale
Palais des Nations, den Völkerbundpalast, angesiedelt. Er wurde zwischen den Weltkrie-
gen zur Unterbringung des nicht gerade glücklich agierenden Völkerbunds errichtet und
ist seit 1946 europäischer Hauptsitz der Vereinten Nationen. Und das, obwohl die Schweiz
der UNO erst 2002 als 190. Mitglied beitrat - noch dazu nach einem knappen Referendum.
Gute 54 Prozent stimmten zu, aber dieser nicht gerade glänzende Sieg bedeutete für
Schweizer Verhältnisse einen Erdrutsch. Ein früherer Anlauf im Jahr 1986 war mit nur 24
Prozent Jastimmen gescheitert. In den dazwischenliegenden 16 Jahren war der Kalte Krieg
zu Ende gegangen, und Terroristen hatten das World Trade Center zum Einsturz gebracht;
das reichte aus, um die Ängste vor einer Gefährdung der Schweizer Neutralität und dem
Gebundensein durch UN -Resolutionen zu überwinden. Das Volk über außenpolitische
Fragen entscheiden zu lassen mag Leuten, die anderswo aufgewachsen sind, seltsam er-
scheinen, für die Eidgenossen ist es aber völlig normal.
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