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die in einem weiten Bogen aus dem Dorf hinausführt, und je weiter ich laufe,
desto friedlicher wird es. Hinter mir liegen die Häuser mit ihren erleuchteten
Fenstern, in der Ferne als dunkler Spiegel das endlose Meer.
Wäre ich vor, sagen wir, hundert Jahren auf Korsika geboren worden, würde
ich meine unmitelbare Umgebung anders wahrnehmen. Ich würde mich nachts
nicht so weit von meinem Dorf wegtrauen, ich häte Angst, den Geistern der Ver-
storbenen zu begegnen oder den mazzeri . Zum Schutz gegen den bösen Blick,
dem mal'occhiu , würde ich Fremden misstrauisch begegnen und zur Sicherheit
den Zeigeinger und den kleinen Finger wie Teufelshörner von meiner Hand
abgespreizt halten.
Dorothy Carrington war keine esoterische Spinnerin, dennoch war sie
fasziniert von allem Übersinnlichen. Sie stellte allerhand Nachforschungen an
und hörte den Leuten gebannt zu, wenn sie aningen, unheimliche Geschichten
von magischen Phänomenen zu erzählen. Ihr Vertrauter, der Kellner Jean Cesari,
eigentlich ein durch und durch sachlicher Mann, weihte sie in die übernatür-
lichen Geheimnisse seiner Insel ein. Er war von der Existenz von Geistern auf
Korsika überzeugt, er selbst habe zwar nie welche gesehen, erzählte er ihr, dafür
aber gehört. Er habe genau vernommen, wie sie sich inmiten der Macchia mit
ihren Fistelstimmen unterhielten und laut und deutlich den Namen eines Mäd-
chens riefen: »Jeanne! Jeanne!« So hieß die Tochter des Mannes, mit dem er
gerade unterwegs war. Der hate das auch gehört und wurde kreidebleich, denn
ihm war klar, was das bedeutete. Die Geister waren gekommen, um seine Tochter
ins Jenseits zu entführen. Er reagierte geistesgegenwärtig: »Nehmt meine schön-
ste Kuh!«, rief er ihnen zu, die Korsen waren schließlich schon immer gewiete
Händler. Manchmal, so wusste er, geben sich die Geister auch mit einem Tier an-
stelle eines Menschen zufrieden. Dann eilte er nach Hause und befahl seiner
Tochter, in die Berge zu gehen. Dort hinauf, so eine weitere Weisheit, folgen die
Geister den Menschen nicht. Das Mädchen überlebte.
Bis in die Siebzigerjahre hinein berichteten Leute, fahle Lichter über einem
Haus gesehen zu haben, in dem bald darauf jemand starb. Oder einen
quietschenden Karren, der vor einer Tür anhielt. Ein untrügliches Zeichen war
auch das Rühren von Trommeln in der Finsternis der Macchia. Dort draußen hiel-
ten sich die Geister der Toten auf, sie kamen nur in die Zivilisation, um einen
weiteren Menschen zu sich zu rufen. Besonders gefährlich waren die »bösen«
Stunden zu Mitag, wenn alle bei Tisch saßen, oder am Abend, kurz nach dem
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