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An die Spitze der Streikenden stellte sich
der in einer Kleinbauernfamilie in Popowo
geborene Elektriker Lech Wałęsa. Ebenfalls
Mitglied des Gründungskomitees freier Ge-
werkschaften und bereits mehrfach verhaftet,
gelang es dem begnadeten Redner, die allge-
meine Empörung in zielgerichtete Bahnen zu
lenken. In Windeseile weiteten sich die
Streiks auf ganz Polen aus. Die Stimmung
war explosiv, die Lage dramatisch. Das ganze
Land wartete angespannt auf eine Entschei-
dung der politischen Führung.
Sie wurde zwei Wochen später gefällt. Am
31. August 1980 unterzeichneten Lech Wa-
łęsa und der stellvertretende Ministerpräsi-
dent Jagielski die „Danziger Vereinbarung“,
die u.a. die Zulassung unabhängiger Ge-
werkschaften gewährte - bis dahin ohne Bei-
spiel in den Ländern des Ostblocks.
Am 24. Oktober 1980 wurde die erste
freie Gewerkschaft hinter dem Eisernen Vor-
hang von den Behörden unter dem Namen
„Solidarność“ registriert. Wenige Wochen
später zählte sie schon über zehn Millionen
Mitglieder. Die besorgten Warschauer-Pakt-
Staaten beraumten kurzfristig ein Sondertref-
fen ein, in dessen Anschluss die sowjetische
Nachrichtenagentur TASS Anfang Dezember
eine „sozialistische Lösung“ für Polen emp-
fahl. Im Gegenzug warnte die NATO den
sowjetischen Staatschef Leonid Breschnew
vor einem Einmarsch der Warschauer-Pakt-
Truppen in ihren Bruderstaat. Die Situation
spitzte sich zu, nun auch international.
Davon unberührt, erfolgte in Danzig vor
den Toren der Werft am 16. Dezember 1980
die Enthüllung des Werftarbeiter-Denkmals.
Drei 40 Meter hohe, jeweils mit einem Anker
bestückte Stahlkreuze erinnern an die Auf-
stände 1956, 1970 und 1976. Im unteren
Drittel des Monuments sind Szenen aus dem
Arbeiterleben eingelassen und ein Gedicht
von Czesław Miłosz (1911-2004), der 1980
den Literatur-Nobelpreis erhielt:
„Der du dem einfachen Menschen Unrecht
getan
Und schallend gelacht hast über sein Lei-
den.
Fühl dich nicht sicher! Der Dichter be-
wahrt's im Gedächtnis.
Du kannst ihn ermorden - es wird ein neu-
er geboren.
Aufgezeichnet werden Taten und Worte als
Vermächtnis.“
Am 13. Dezember 1981, fast auf den Tag
genau ein Jahr nach der Enthüllung des
Denkmal, verhängte General Jaruzelski das
Kriegsrecht. Mit dem Verbot der Solidar-
ność und Tausenden Verhaftungen dauer-
te es bis Juli 1983, die Solidarność selbst
wurde nach knapp sechs Jahren Unter-
grundarbeit erst im April 1989 wieder zu-
gelassen. Bei den sich im Juni 1989 an-
schließenden Parlamentswahlen gewann
die Gewerkschaft, die längst eine Volksbe-
wegung war, sämtliche Sitze, die die Regie-
rung den Unabhängigen überhaupt einräu-
men musste. Im November wurde der Soli-
darność-Führer Lech Wałęsa zum Präsiden-
ten der Republik Polen ernannt - dem ers-
ten frei gewählten Staatspräsidenten in
der Geschichte des Landes.
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