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Solidarność - Chronik einer Revolution
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs ent-
wickelte sich Trójmiasto zum bedeutenden
Wirtschaftszentrum der Volksrepublik Po-
len. Dem Sechsjahresplan von 1952 sei
Dank konnten der Aufbau einer Schwer-
industrie in Angriff genommen werden so-
wie 200.000 neue Wohnungen und
150.000 neue Arbeitsplätze geschaffen
werden. So ist es in der 1966 veröffentlich-
ten Erfolgsstory über die „Nord- und
Westgebiete Polens“ von Tadeusz Derlatka
und Józef Libojański nachzulesen, in der die
Autoren weiter schlussfolgern, dass die
„vielen Industriezweige der Nord- und
Westgebiete fast gänzlich den Bedarf der
polnischen Volkswirtschaft decken.“
Tatsächlich aber prägte eine chronische
Mangelwirtschaft das Bild der Volksrepu-
blik, und auch die Produktivität ging zu-
rück. Bereits 1956 wurden die Werktätigen
deshalb, durch Beschluss der Führung der
Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei, zum
ersten Mal mit einer „Erhöhung der Ar-
beitsnorm“ konfrontiert. Faktisch bedeute-
te das eine Lohnsenkung. In den Zispo-
Werken in Poznań kam es zum Streik, dem
sich kurz danach auch die Danziger Arbei-
ter anschlossen. Man legte die Arbeit nie-
der und demonstrierte öffentlich auf den
Straßen, bis Soldaten der Volksarmee die
Demonstrationen blutig niederschlugen.
An der ökonomischen Dauerkrise än-
derte sich nichts. 1956-60 musste die
Volksrepublik bereits acht Millionen Ton-
nen Getreide einführen, während die Pro-
duktivität weiter zurückging und die Ge-
burtenrate alle Rekorde brach.
1970 gab die Bevölkerung etwa die Hälf-
te ihre Monatseinkommens für Grundnah-
rungsmittel aus. Nach einer Lebensmittel-
verknappung und gleichzeitiger Preiser-
höhung kam es am 14. Dezember 1970 in
Danzig erneut zu Streiks. 1165 Menschen
wurden während der Unruhen verletzt, 48
getötet. Doch dies ist nur die damals offiziel-
le Version. Heute spricht man von 70 Ermor-
deten. Parteichef Gomułka musste gehen
und wurde von Edward Gierek abgelöst.
1976 kam es abermals zu Arbeiterausstän-
den, in deren Folge zahllose bis zu zehnjähri-
ge Haftstrafen wegen „Rowdytum“ ver-
hängt wurden. Zur politischen, juristischen
und finanziellen Unterstützung der Inhaftier-
ten schloss sich eine Gruppe unter den Bür-
gerrechtlern Adam Michnik und Jacek Kuroń
zum Komitee für gesellschaftliche Selbst-
verteidigung (KOR) zusammen. Unter sei-
nem Dach sammelten sich die verschiedens-
ten Untergrundaktivisten, und mit vielen
streitbaren Veröffentlichungen wurde das
KOR zum intellektuellen Wegbereiter der So-
lidarność-Bewegung.
1980 unternahm die Regierung erneut den
Versuch, die Lebensmittel-Subventionen he-
runterzufahren. Und wieder kam es zu
Streiks. Anlässlich der Entlassung der Arbeite-
rin Anna Walentynowicz, einem Mitglied des
Gründungskomitees freier Gewerkschaften
von 1976, traten am 14. August 1980 die Be-
schäftigten der Danziger Lenin-Werft in den
Ausstand. Doch anders als in den Jahren da-
vor gingen sie diesmal nicht auf die Straße,
wo sie bewaffneter Polizei und Armee ge-
genüberstanden, sondern verschanzten sich
in ihrem Betrieb. Patriotische und religiöse
Lieder wurden gesungen, Messen gelesen
und Streikkomitees gegründet. Vor dem Tor
der besetzten Lenin-Werft strömten die Men-
schen zusammen, bald schon aus allen Teilen
des Landes, schmückten es mit Blumen und
zündeten Kerzen an. Bilder aus Danzig, die
um die Welt gingen.
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