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die besondere Bedeutung des Verkehrsträgers „Straße“
zur Erfüllung der „Erfordernisse des künftigen interna-
tionalen Verkehrs“ herausgestellt und politisch veran-
kert. Gleichzeitig fielen mit der konkreten Festlegung
der Netzverbindungen wesentliche Entscheidungen hin-
sichtlich der Einbindung von Städten und Regionen in
das sich entwickelnde Straßennetz. Dies betraf auch die
nationale Ebene, da der Vertrag die unterzeichnenden
Länder dazu verpflichtete und auch weiterhin dazu ver-
pflichtet, die Entwicklung des europäischen Straßennet-
zes „im Rahmen ihrer nationalen Ausbauprogramme
zu verwirklichen“ (Schweizerische Eidgenossenschaft
2011). Eine Festlegung hinsichtlich der zu realisierenden
Qualität der Straßen war damit allerdings nicht verbun-
den. Relativ feinmaschig ist das heutige Netz der euro-
päischen Fernstraßen vor allem im zentralen Teil Euro-
pas zwischen Norditalien im Süden und Dänemark im
Norden, nach Südwesten und Südosten sowie im Nor-
den sind die Maschen des Straßennetzes deutlich gröber
(Abb. 7.32). Die Maschenweite ist ganz unterschied-
lichen Faktoren geschuldet - neben Siedlungsstruktur
und Morphologie spielte auch die Akteurskonstellation
bei der Anlage des Netzes eine nicht unwesentliche
Rolle.
Von Beginn an zielte die Entwicklung des europä-
ischen Fernstraßennetzes auf die Verbindung der Bevöl-
kerungs- und Wirtschaftsschwerpunkte der beteiligten
Länder ab, wenngleich vor allem in den Nachkriegsjah-
ren die touristische Erschließung Europas einen zusätz-
lichen hohen, auch durch Gelder aus dem Marshall Aid
Plan (1947 - 1951) geförderten Stellenwert einnahm
(Mom 2005). Gleichzeitig verkörperten die Straßenin-
frastrukturen durch die Aufgabe der klaren Trennung
zwischen „inländisch“ und „ausländisch“ nicht nur
einen materiellen, sondern auch einen politischen Wert
(Rankin 2009). In der Folgezeit trugen die europäischen
Fernstraßen mehr als jeder andere Verkehrsträger zur
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vernetzung in
Europa bei.
Die Bedeutung der Räume im europäischen Kontext
wurde nunmehr überlagert von der Bedeutung der
Ströme an Menschen, Gütern und Informationen, die
zwischen einzelnen Räumen flossen. Durch seine Anlage
übte das Fernstraßennetz einen erheblichen Einfluss auf
die Bevölkerungs- und Siedlungsstruktur aus, und vor-
handene regionale Disparitäten wurden sowohl auf
nationaler wie auch auf europäischer Ebene reprodu-
ziert oder sogar weiter vertieft. Beispiele dafür sind
Räume wie das Zentralmassiv oder die Gascogne in
Frankreich, Süditalien oder große Teile Spaniens, die
erst in jüngerer Zeit an das Fernstraßennetz angeschlos-
sen wurden.
Generell lässt sich feststellen, dass die Anbindung
ohnehin schon starker Regionen durch die Anlage des
Fernstraßennetzes noch weiter verbessert wurde, wirt-
schaftsschwache Regionen hatten dagegen das Nachse-
hen. Dies wurde dadurch noch verschärft, dass in diesen
Regionen in der Regel eine alternative Anbindung über
andere Verkehrsträger, insbesondere über die Schiene,
nicht gegeben war. Damit gerieten viele periphere
Regionen in einen Teufelskreis aus relativer Verschlech-
terung der Anbindung an die nationale und europäische
Wirtschaft, Abwanderung der Bevölkerung und weite-
rem Verlust an Arbeitsplätzen, was nur dort ausge-
glichen werden konnte, wo größere touristische Potenzi-
ale vorhanden waren, wie beispielsweise entlang weiter
Strecken der europäischen Mittelmeerküste.
Nicht ohne Bedeutung für die konkrete Entwicklung
des Fernstraßennetzes waren die jeweiligen nationalen
Akteurskonstellationen. So wurde das „Auslassen“ und
„Überspringen“ von Regionen dort besonders offen-
kundig, wo die Anlage der Fernstraßen nicht vonseiten
des Staates erfolgte, sondern privaten Unternehmen
überlassen war. Am Beispiel Frankreich lässt sich zeigen,
wie die für den Autobahnbau und -betrieb zugelassenen
Unternehmen eine Straßennetzgestaltung durchgesetzt
haben, die vorrangig einwohner- und wirtschaftsstarke
Gebiete miteinander verband und damit hohe Einnah-
men erlaubte. Dagegen wurden kleinere regionale Ag-
glomerationen aus Kostengründen aus dem Fernstra-
ßennetz quasi ausgeschlossen (Brücher 1992).
Mit der Anerkennung der Tatsache, dass leistungs-
fähige (Verkehrs-)Infrastrukturen eine wesentliche
Grundlage für das Funktionieren und die Entwicklung
von Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb der europä-
ischen Länder sowie von Europa insgesamt sind, wurden
der Auf- und Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen auch
Abb. 7.31 Das Zeichen der Europastraßen ist das weiße „E“
auf grünem Grund. Verläuft eine Europastraße in Nord-Süd-
Richtung, so ist sie mit einer ungeraden Zahl nummeriert, so
wie die hier am Porsanger-Fjord von der E 6 abzweigende
Straße zum Nordkap. Die Europastraßen in West-Ost-Richtung
haben gerade Zahlen als Nummern (Foto: Clemensfranz/Wiki-
pedia).
 
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