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Abb. 2 a) Waterfront in Genua und b) waterfront in Rotterdam (Fotos: Felicitas Hillmann).
senentlassungen führte. Nach dem Vorbild der Revitalisie-
rungsprojekte von Baltimore und Melbourne entstanden
auch in europäischen Hafenstädten dann auf den brachge-
fallenen Arealen nach und nach neue waterfronts , die durch
eine besondere Architektur und die Ausrichtung auf Kon-
sum- und Freizeitfunktionen gekennzeichnet waren. Die
Wasserlagen in den Innenstädten sollten nun auf neue
Weise attraktiv gemacht werden, wozu für diesen Wandel
auch symbolische Zeichen durch hervorstechende Bauten
international tätiger Architekturbüros wie Rem Kolhaas
(Rotterdam), Renzo Piano (Genua), Toyo Ito (Barcelona) und
Frank Gehry (Bilbao) gesetzt wurden (Abb. 2).
Die bauliche Restrukturierung war in der Regel Bestand-
teil eines Wandels von planerischen Leit- und Raumbildern,
verbunden mit dem Slogan der „Rückgabe des Meeres an
die Stadt“ (Hillmann 2011). Bekannte Beispiele für solche
„städtischen Erweiterungszonen“ sind „Kop van Zuid“ in
Rotterdam oder die „HafenCity“ in Hamburg. Im Unter-
schied zur bis dahin verfolgten Stadtentwicklungsplanung
waren die Adressaten dieser Planung nun nicht länger nur
die Bürger der Stadt, sondern vermehrt ihre Besucher. Es
veränderte sich seit den 1980er-Jahren nicht nur die Archi-
tektur, sondern auch die Planungspraxis: Der Städtebau
internationalisierte sich und viele europäische Hafenstädte
bewarben sich auf international ausgeschriebene Titel wie
beispielsweise die „Europäische Kulturhauptstadt“ (z. B.
Genua, Newcastle und Glasgow, aktuell Barcelona) und
traten so in eine Wettbewerbssituation ein. Viele der Stadt-
entwicklungsmaßnahmen wurden über europäische Program-
me und durch Public Private Partnerships erst ermöglicht.
Die für diesen Wettbewerb übernommenen Planungsvor-
stellungen orientierten sich an globalen Entwürfen zur
urban regeneration . Sie definierten sich über den Ge-
schmack und an den Anforderungen eines Standortwettbe-
werbs, der auf die Anziehung einer hochqualifizierten Elite
zielte. Für diese sollten die Hafenstädte ein attraktives
Lebensumfeld bieten. Wo möglich, wurde eine Musealisie-
rung vorhandener historischer Bauten vorangetrieben, wo
nicht, wurde vor allem in Kultur und Kunst investiert. Hafen-
städte buhlen inzwischen außerdem um die relativ neue,
schnell anwachsende Klientel der gut betuchten Kreuz-
fahrttouristen, die bei ihren Landgängen eine Chance
haben, die neu inszenierten Innenstädte zu besuchen.
Den neuen Vorzeigeprojekten des internationalen Städ-
tebaus stehen aber auch heute noch in vielen Hafenstädten
spezifische Sozial- und Bevölkerungsstrukturen gegenüber:
Abgesehen von den Hafenquartieren mit ihren ehemals auf
Seefahrer ausgerichteten Kneipen und Vergnügungslokalen
sind ethnische Enklaven mit zahlreichen migrantischen
Unternehmen, zum Beispiel in Form von Import-Export-
Läden, ein typisches Merkmal.
Die ehemaligen Hafenviertel sind mittlerweile haupt-
sächlich eine Touristenattraktion und werden von der Bevöl-
kerung der Gesamtstadt wegen ihres schlechten Images
und der dort vermuteten Kleinkriminalität häufig gemieden.
Außerdem ist die Stadtstruktur in der Peripherie oft durch
Arbeiterwohnviertel geprägt, die aufgrund des andauern-
den Strukturwandels in der Hafenwirtschaft bis heute
durch soziale Probleme auffallen. Während diese vom
Arbeitsmarkt abgekoppelten Bevölkerungsteile durch eine
geringe soziale und räumliche Mobilität charakterisiert
sind, sind die Hafenstädte selbst längst das Ziel neuer For-
men von Mobilität geworden: Transnationale Migration fin-
det sich an diesen Ankunfts-, Abfahrts- und Transitorten
besonders häufig. Auch die starke sogenannte illegale Zu-
wanderung ist typisch für viele Hafenstädte. Ein Hinweis auf
solche transnationalen Verbindungen ist die einschlägige
Infrastruktur, wie etwa Filialen von MoneyGram oder Wes-
tern Union, die die Rücküberweisungen der Migranten
ermöglichen.
Über Jahrhunderte hinweg haben sich die Hafenstädte
in Europa mit ihren zahlreichen Neuankömmlingen und
Durchreisenden arrangiert und sich zu wichtigen Knoten-
punkten in den heutigen weltweiten Migrationsnetzwerken
und -korridoren entwickelt. Man kann davon ausgehen,
dass sie auch für zukünftige Migrationen und für die Aus-
gestaltung von Mobilität insgesamt besonders bedeutsam
sein werden.
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