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Verflechtungen der Wirtschaftsregionen. Die Organisa-
tion von Wissensbeziehungen und die Kommunikation
von Wissen stehen dabei im Mittelpunkt zweier Pro-
zesse, welche die veränderten Verflechtungen der euro-
päischen Wirtschaftsregionen kennzeichnen. Aus ihnen
gehen zwei Typen von Orten der Produktion und
Inwertsetzung von Wissen hervor: Orte der Spezialisie-
rung und Orte der Diversifikation von wissensbasierten
wirtschaftlichen Aktivitäten.
Rüstungsindustrie und neuerdings auch von der Bio-
technologie geprägte Oberbayern, das von der Informa-
tions- und Elektronikindustrie bestimmte Grenoble in
Frankreich oder die diversifizierte Universitätsland-
schaft in Cambridgeshire/England durch ein über-
durchschnittliches Wirtschaftswachstum auf sich auf-
merksam - freilich unter gänzlich anderen strukturellen
und institutionellen Bedingungen als das „Dritte Ita-
lien“. Diese, heute gerne als Hightech-Regionen bezeich-
neten Wirtschaftsräume, wurden als kreative Milieus,
das heißt als regionale Manifestation vernetzter Innova-
tionsaktivitäten, bekannt. Vielfältige kooperative Wis-
sensbeziehungen zwischen Hochschulen und Hightech-
Unternehmen sind ihr charakteristisches Merkmal.
Eine wesentliche Komponente der positiven Ent-
wicklungen in spezialisierten lokalen Produktionssys-
temen bildet zirkulierendes praktisches Wissen. Prak-
tisches Wissen bezieht sich auf die Fähigkeit eines
Unternehmens, sowohl systematisch erschlossenes (Hoch-
schul-)Wissen als auch Erfahrungswissen aus learning
by doing für die Lösung täglicher, leistungsspezifischer
Problemsituationen in Wert zu setzen. Räumliche Nähe
zwischen Wirtschaftsakteuren erleichtert den Austausch
von Wissen sowie gemeinsame Lernprozesse. Unterneh-
men bewerten die Nähe zu Hochschulen und den zeit-
nahen Zugang zu dort entwickeltem Wissen als wesent-
liche Standortfaktoren. Aber auch die räumliche Nähe
zu Stammkunden oder zu zentralen Zulieferern fließt in
unternehmerische Standortentscheidungen mit ein.
Nähe stellt eine wichtige Rahmenbedingung zur Etablie-
rung von Technologie- und Marktverflechtungen dar.
Wo sich mehrere kleine und mittlere Zulieferbetriebe
um ein großes, fokales Industrieunternehmen gruppie-
ren - zum Beispiel am Standort eines Automobilherstel-
lers, der wissensintensive arbeitsteilige Wertschöpfun-
gen in einem strategischen Unternehmensnetzwerk
koordiniert - werden Netzwerke lokalisiert. Die territo-
rialen Produktionssysteme werden von den sich verän-
dernden Anforderungen der Unternehmen an die
Standorte der Produktion und durch einen weltweiten
Wettbewerb der Standorte allerdings fortwährend her-
ausgefordert. Dadurch wird für die Regionen die (Re-)
Organisation des lokalen praktischen Wissens - zum
Beispiel im Zuge von regionalen Clusterpolitiken - zu
einer voraussetzungsvollen Komponente im Wettbe-
werb der Regionen (Porter 2000).
Der Zugang zu Wissen lässt sich aber auch ohne eine
beständige Co-Präsenz der Akteure an einem Standort
organisieren. Netzwerke, in denen der Austausch von
Wissen beispielsweise auf Basis berufsbezogener Nähe
erfolgt, überbrücken räumliche Distanz. Insbesondere
in Projektarbeit ist die Co-Präsenz von Wissensträgern
nicht fortwährend erforderlich. Der direkte, persönliche
Kontakt zwischen den entscheidenden Wissensträgern
eines Projekts lässt sich zu unterschiedlichen Zeitpunk-
Räumlich konzentrierte
Spezialisierung sowie Diversifikation
wirtschaftlicher Aktivitäten
Einzelne Regionen im Mosaik europäischer Wirtschafts-
regionen treten als Cluster räumlich konzentrierter
wirtschaftlicher Aktivitäten deutlicher hervor als andere.
Spezialisierte territoriale Produktionssysteme sowie ihre
Vernetzung bilden somit den ersten wesentlichen Be-
standteil des Mosaiks der europäischen Wirtschaftsre-
gionen. Die Spezialisierung einer Region spiegelt sich
zum Beispiel im dominierenden Anteil einer oder weni-
ger Branchen der gewerblichen Wirtschaft wider. Dabei
ist die Spannbreite des Grades der regionalen Speziali-
sierung im verarbeitenden Gewerbe am höchsten. Wäh-
rend zum Beispiel in Madrid oder Brüssel, den Haupt-
städten Spaniens und Belgiens, weniger als 10 Prozent
der Beschäftigten im verarbeitenden Gewerbe tätig sind,
bestimmt dieser Wirtschaftsbereich den Arbeitsmarkt
einzelner osteuropäischer Regionen mit Beschäftigungs-
anteilen von bis zu 50 Prozent. In der slowenischen
Region Západné Slovensko, nordöstlich von Bratislava
gelegen, stellen zum Beispiel die Automobilindustrie
und ihre Zulieferindustrien den Großteil der Beschäftig-
ten. Im EU-Durchschnitt lag der regionale Beschäftig-
tenanteil des verarbeitenden Gewerbes im Jahr 2007 bei
25 Prozent (Eurostat 2010).
Zu den europäischen Wirtschaftsregionen, die in den
letzten Jahren eine besondere politische und wissen-
schaftliche Aufmerksamkeit erlangten, zählen zum Bei-
spiel die Konsumgüter produzierenden lokalen Produk-
tionssysteme der Toskana und Emilia Romagna - auch
bekannt als „Drittes Italien“. Sie verzeichneten in den
1970er-Jahren ein überdurchschnittliches Wirtschafts-
wachstum und wurden als Paradebeispiele für eine flexi-
bel organisierte Spezialisierung arbeitsteilig vernetzter
kleiner und mittlerer Unternehmen identifiziert und
erforscht (Pyke et al. 1990). Politische Bemühungen, die
beobachteten Strukturen und Institutionen der italieni-
schen Produktionssysteme auf andere, zumeist alternde
Industrieregionen wie etwa das Ruhrgebiet zu übertra-
gen, waren jedoch nicht immer von Erfolg gekrönt. Zur
selben Zeit machten auch Regionen wie das von der
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