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beschreiben. Allerdings ist die Organisation der Pro-
duktionssysteme in stetiger Veränderung begriffen.
Neben fordistischen Wirtschaftsweisen, die sich zum
Beispiel in der Massenproduktion traditioneller Kon-
sumgüter widerspiegeln, treten seit den 1980er-Jahren
postfordistische Wirtschaftsweisen, die durch indivi-
duelle Konsumgewohnheiten, eine zunehmend arbeits-
teilige Spezialisierung der Unternehmen und Wirt-
schaftszweige sowie eine Zunahme der Bedeutung des
Produktionsfaktors Wissen gekennzeichnet sind (Piore
& Sabel 1985). Nicht nur Skaleneffekte, sondern auch
eine flexible, anpassungsfähige Produktion bestimmen
die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie. Auf volatilen
Märkten werden Flexibilisierungsstrategien immer wich-
tiger. Mit dem Einsatz flexibler Arbeitskräfte, flexibler
Technologien und der Netzwerkorganisation von Zu-
lieferbeziehungen steigern Unternehmen die Qualität
ihrer Produkte und zugleich auch die Effizienz der Her-
stellungsprozesse. Über eine Vielfalt an Produktmodel-
len kreieren und besetzen sie Nischenmärkte. Modische
Einflüsse verkürzen hingegen die Lebenszyklen der Pro-
dukte, wodurch der Innovationsdruck der Firmen
steigt. Die zunehmende Wissensintensität der Produk-
tion drückt sich in neuen Formen der zwischenbetrieb-
lichen Arbeitsorganisation aus. Beispielsweise werden
Produktionsaufträge vermehrt als Projekte organisiert.
Projektarbeit ist zeitlich befristet, zielorientiert und von
gemeinsamen Lernprozessen der Projektpartner ge-
prägt. Vor allem wissensintensive, unternehmensorien-
tierte Dienstleister werden zu Partnern der Industrie.
Sie werden zur Problemlösung und als Impulsgeber für
Innovation in die Wertschöpfungsprozesse des produ-
zierenden Gewerbes mit eingebunden (Haas & Linde-
mann 2003).
EU-weit sind die Umsätze in wissensintensiven
Dienstleistungsbranchen wie Unternehmensberatung,
Datenverarbeitung und Ingenieursdienstleistungen zwi-
schen 1999 und 2007 um durchschnittlich 6,7 Prozent
pro Jahr gewachsen. Kein anderer Wirtschaftszweig ver-
zeichnete eine vergleichbar imposante Entwicklung.
Während die Beschäftigung in der Industrie tendenziell
abgebaut wird, stieg die Zahl der Mitarbeiter in wissens-
intensiven, unternehmensorientierten Dienstleistungen
in Europa im genannten Zeitraum um 40 Prozent auf
knapp 20 Millionen Beschäftigte (Eurostat 2009b). Auf-
grund der zentralen Stellung des Wissens im Produk-
tionsprozess und des zunehmenden Einflusses der
Dienstleistungswirtschaft auf das verarbeitende Gewer-
be lassen sich die Produktionssysteme des postfordisti-
schen Europas in Anlehnung an den Soziologen Daniel
Bell (1975) auch als postindustriell charakterisieren. Das
darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Wirtschaftskraft der europäischen Mitgliedsstaaten
noch immer maßgeblich von der Industrie bestimmt
wird.
Flexibilisierungsstrategien der Industrie beziehen
sich zunächst einmal auf unternehmerisches Handeln.
Dieses Handeln besitzt aber auch eine gesellschaftliche
und eine räumliche Qualität (Schamp 2000). Die Koor-
dination standortspezifischer Vorteile zur Sicherung
und Inwertsetzung strategischer Ressourcen wird für
Unternehmen zu einem wettbewerbsbestimmenden
Faktor. Ressourcen im hier verwendeten Sinne sind
nicht auf materielle Rohstoffe als Inputfaktoren des Pro-
duktionsprozesses beschränkt. Sie schließen auch Wis-
sen, Macht und soziales Kapital mit ein - Ressourcen
also, die kontingent und kontextbestimmt, das heißt an
konkrete Situationen und Standorte, gebunden sind. Es
handelt sich um relationale Ressourcen, die über Inter-
aktion der Wirtschaftsakteure entstehen und reprodu-
ziert werden. Und es handelt sich um intangible Res-
sourcen, die nicht einfach in Geldeinheiten zu bemessen
sind.
Im Zuge der schrittweisen Vereinheitlichung des
europäischen Marktes haben Unternehmen nicht nur
gelernt, sich neue internationale Märkte zu erschlie-
ßen, sondern auch, sich die Vorteile einer Produktion
an Auslandsstandorten zu eigen zu machen. Transna-
tionale Konzerne unterhalten europäische (und welt-
weite) Standortnetze und haben die Koordination sich
ergänzender Standortvorteile und strategischer Res-
sourcen perfektioniert. Die Auslandstochtergesellschaf-
ten transnationaler Unternehmen sind mehr als nur
Vertriebsniederlassungen. Sie besitzen weitreichende
Entscheidungsbefugnisse, stellen Endprodukte und/oder
Zwischenprodukte für den Konzernverbund her. Insbe-
sondere sind sie in der Lage, lokales Wissen für sich
und den Gesamtkonzern in Wert zu setzen. Die deut-
sche Industrie zum Beispiel verlagert in zunehmendem
Maße Wertschöpfungsanteile der Produktion auf Toch-
tergesellschaften an lohnkostengünstige Auslandsstand-
orte, führt die dort hergestellten Güter anschließend als
Zwischenprodukte nach Deutschland zurück und mon-
tiert sie in deutschen Stammwerken zu Endprodukten,
die wiederum auf dem Weltmarkt angeboten werden.
Mit dieser Strategie reagierten die Unternehmen etwa
auf die starre Lohnpolitik des deutschen Wirtschafts-
systems der 1990er-Jahre.
Mit der sich verändernden Organisation der Produk-
tion vervielfältigen sich auch die räumlichen Strukturen
der europäischen Wirtschaft. Zwar bleiben die großräu-
migen Strukturen der Wirtschaftsstandorte weitestge-
hend erhalten. Das Ruhrgebiet gehört trotz fortschrei-
tender Deindustrialisierung noch immer zu einer der
wohlhabendsten Wirtschaftsregionen Europas, und an
der peripheren Lage der Region Wales haben auch (jah-
relang subventionierte) Investitionen ausländischer
Unternehmen nicht viel geändert (Schamp 2000). Aller-
dings wandeln sich mit einer zunehmend differenzier-
ten (internationalen) Arbeitsteilung die funktionalen
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