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zugeteilt, ein Mann, der aus der Favela stammte, und ich setzte mich hinten auf seine Ma-
schine. Zusammen schossen wir um Häuserecken und durch dunkle Gassen. Und während
wir so herumfuhren, sah ich überall Waffen. Und zwar richtig große.
Die Crew fuhr hinter uns her. In bestimmten Gebieten wurde sie angewiesen, das Filmen
bleiben zu lassen, weil die Bandenbosse nicht gern gefilmt werden wollten. Wir mussten
also die Kameras auf den Boden richten, damit sie sehen konnten, dass wir nicht heimlich
doch Aufnahmen machten.
Irgendwann fuhr die Motorradkolonne rechts ran, und ich wurde einem Mann namens
Henrique vorgestellt. Er trug keine Waffen. Er war auch kein Bandenboss. Er würde mir
einen brasilianischen Tanz beibringen, der Samba hieß.
Henrique führte mich in ein baufälliges Gebäude, in dem er mir zwei Stunden lang
verschiedene Schrittfolgen und Bewegungsabläufe eintrichterte. Zwischendurch zeigte ich
ihm, wie ich normalerweise tanze, was er aber nur mit »scheiße« kommentierte. Nicht be-
sonders höflich, dachte ich. Die erste halbe Stunde war ganz witzig, und ich nahm das Gan-
ze auf die leichte Schulter - bis Henrique mir eröffnete, dass ich beim Karneval in Rio tan-
zen würde. Auch wenn ich in meinem Leben nicht besonders viel herumgekommen bin -
davon hatte selbst ich schon mal gehört, und ich begann, mir Sorgen zu machen. Und mir
mehr Mühe zu geben. Henrique erzählte mir, dass mir viertausend Menschen zusehen wür-
den, und für die Truppe, mit der ich auftreten sollte, sei das Ereignis eine Riesensache. Sie
hatten das komplette letzte Jahr trainiert und hofften jetzt darauf, die Juroren ausreichend
beeindrucken zu können, auf dass sie im Hauptwettbewerb in die nächste Runde kämen.
Aber je mehr Mühe ich mir gab, desto frustrierter wurde ich. Es war einfach zu viel, als
dass ich mir alles hätte merken können. Am Ende schlug Henrique vor, was essen zu ge-
hen. Wir gingen in ein Café um die Ecke. Das Essen war richtig gut, aber wenn man be-
denkt, dass die meisten Besucher hier mit Granaten, Maschinengewehren und Raketenwer-
fern hereinspazieren, würde wohl kaum jemand wagen, irgendeine Pampe zu servieren.
Nach dem Essen trainierten wir noch ein bisschen weiter. Dann überreichte mir Henrique
das Kostüm, das ich anziehen sollte. Es war lächerlich: so eine Art blau-weißer
Ganzkörper-Overall mit blauen Federn. Ich sah darin einfach nur total bescheuert aus, aber
Henrique meinte nur, dass das Outfit meine geringste Sorge sei. Und ich solle unbedingt
daran denken, immer zu lächeln. Ich lächele normalerweise nicht allzu viel. Das heißt, ich
kann schon lächeln, aber eben nicht so viel wie andere Leute. Sogar wenn ich innendrin
überglücklich bin, kann man es nicht immer an meinem Gesicht ablesen.
Wir trainierten noch ein Stündchen, dann ließen wir es gut sein. Henrique war müde, im-
merhin hatte er schon drei Tage karnevalesken Tanz hinter sich. Ich war schon nach drei
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