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lassen müssen. Es war gespenstisch. Keine Reisebusse, keine Kamele, keine Ramschver-
käufer - und es war dunkel.
Wir betraten die Pyramide über eine Treppe, von der Andrew und Seija behaupteten, sie
sei mehr als hundertfünfzig Meter lang. Dann mussten wir uns auf Knien durch eine kleine
Öffnung quetschen, um die sogenannte Königskammer zu erreichen. Ich bin nicht beson-
ders gut im Schätzen, aber ich würde sagen, dass rund fünfzig Leute auf einmal darin Platz
finden könnten, wenn sie sich ein bisschen dünn machen.
Die Wände aus rosafarbenem Granit sahen beeindruckend aus. Nur der Steinsarg am an-
deren Ende der Kammer wirkte ein wenig heruntergekommen. Er sah aus, als wäre er ziem-
lich grob behauen. Wahrscheinlich hatten zu diesem Zeitpunkt des Pyramidenbaus (da wa-
ren schon dreiundzwanzig Jahre vergangen) die Arbeiter die Schnauze voll und wollten ih-
re Arbeit einfach nur noch schnell zu Ende bringen. Als würde man einen Anbau an seinem
Haus vornehmen, und am Ende hat man eine Mängelliste mit gesprungenem Putz oder wa-
ckeligen Steckdosen, deren Ausbesserung länger als der eigentliche Anbau dauert.
Der Deckel auf dem Steinsarg fehlte, die Mumie ebenfalls. Andrew und Seija zündeten
ein paar Kerzen an, was ich nicht besonders clever fand, da es dort drinnen ohnehin schon
ziemlich heiß war und nicht das geringste Lüftchen ging. Außerdem gab es dort keine Not-
ausgänge. Trotzdem habe ich mich ganz still verhalten, weil ich die Stimmung nicht ver-
derben wollte. Sie begannen mit ihrem Mantra. Dann führte Seija mich zu dem Steinsarg
und forderte mich auf hineinzusteigen. Damit hatte ich nicht gerechnet, aber während sie
mich dorthin schubste, sangen die beiden ihr Mantra immer weiter, sodass ich keine Ge-
legenheit hatte, sie zu unterbrechen und zu fragen, was sie denn überhaupt vorhatten. Es
war eines der seltsamsten Erlebnisse meines Lebens. Ich lag regungslos in einem viertau-
send Jahre alten Sarg, während zwei Fremde über mir trällerten. Insgesamt lag ich wohl
fünf Minuten in dem Sarg, dann zogen Seija und Andrew mich wieder hinaus, damit Seija
einsteigen konnte.
Ehe wir die Pyramide verließen, wollte Seija von mir wissen, ob ich die kosmischen Kräf-
te gespürt hätte. Ich hätte gerne Ja gesagt, aber leider war das nicht der Fall gewesen, und
so beschloss ich, ihr gegenüber ehrlich zu sein. Sie wirkte ein bisschen enttäuscht.
So eigenartig das alles war - es war eine tolle letzte Erfahrung, und es rundete meine Rei-
se nach Ägypten und zu den Pyramiden wunderbar ab. Wie viele Leute können schon von
sich behaupten, dass sie in einem kerzenbeleuchteten Sarg in der Königskammer von einer
der großen Pyramiden gelegen haben?
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