Geography Reference
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Während sich die Städte einerseits wieder einer gröeren Be
liebtheit erfreuen, hält die Zersiedelung des suburbanen Raums
uneingeschränkt an. Ein Europäer, der zum ersten Mal über den
Groraum Los Angeles, Houston oder Atlanta iegt, sieht mit
Erstaunen einen nicht endenden Flickenteppich aus unterschied
lichen Nutzungen, die scheinbar zufällig nebeneinanderliegen,
aber stets durch breite Straen getrennt sind. Die Städte ufern
immer mehr aus. Dieses Gefühl stellt sich auch ein, wenn man
die Stadtlandschaen mit dem Auto erkundet. Jetzt sieht man
auerdem, dass der suburbane Raum keinesfalls so homogen
oder langweilig ist, wie häug behauptet wird, denn beim Bau
neuer Wohnsiedlungen, Industrieanlagen, Büros oder Shopping
Center wurden teils neue Konzepte umgesetzt. Immer ist die US
amerikanische Stadt aber eine fragmentierte und segmentierte
Stadt. Äuerst wohlhabenden Stadtteilen stehen völlig herunter
gekommene Viertel gegenüber, für deren Zukun wenig Ho
nung besteht. Aber wer wei?
Erstmals seit einem halben Jahrhundert ist 2009 mit dem aus
Chicago stammenden Barack Obama ein Grostädter Präsident
der Vereinigten Staaten geworden. Die Regierung Obama ver
kündete im Rahmen der Amtseinführung, dass der Ausbau der
städtischen Infrastruktur und die Verbesserung der Bildungs
einrichtungen wichtige Ziele der kommenden Jahre seien. In
der Vergangenheit hat sich allerdings wiederholt gezeigt, dass
Programme und Geld aus Washington die Revitalisierung der
Städte zwar unterstützen können, der Erfolg aber letztlich von
den Akteuren vor Ort abhängt. Leider konnte auch nicht so viel
Geld wie anfangs geplant für den Stadtumbau zur Verfügung ge
stellt werden, da die Umstrukturierung der ins Strudeln gerate
nen amerikanischen Wirtscha unter Präsident Obama Vorrang
hatte. Die USamerikanischen Städte sind nur aus der Ferne alle
gleich, tatsächlich unterscheiden sie sich in vielerlei Hinsicht
voneinander. Fest steht, dass sie sich in den vergangenen Jahr
zehnten alle verändert haben, wenn auch sehr unterschiedlich.
Auerdem haben sich die Kernstädte und der suburbane Raum
einander angenähert. Eine klare hierarchische Ordnung, die sich
in den Begrien urban, suburban, exurban und rural (ländlich)
ausdrückte, gibt es nicht mehr (Lang 2003, S. 29). Geographen,
Planer, Politiker und Journalisten haben unterschiedliche Trends
ausgemacht, über die keine Einigkeit besteht und die sich nicht
mit herkömmlichen Begrien beschreiben lassen ( . Abb. 1.1 ).
Jede Gruppe wie auch viele Einzelpersonen haben ein eigenes Vo
kabular entwickelt, um die neuen Prozesse zu veranschaulichen
oder diese für alle Ewigkeit mit dem eigenen Namen zu verbin
den. Es ist müig, die einzelnen Begrie genau zu denieren und
abzugrenzen, da sie von einzelnen Autoren sehr unterschiedlich
gebraucht werden. Im Folgenden nden daher nur solche Be
grie Verwendung, über deren Denition weitgehend Konsens
besteht, die sich im allgemeinen Sprachgebrauch durchgesetzt
haben oder die in der wissenschalichen Literatur wiederholt
diskutiert worden sind.
In diesem Buch steht die Frage nach den wichtigsten Prozes
sen und der divergierenden Entwicklung einzelner Städte bzw.
Stadtteile im Mittelpunkt: Warum war ein Teil der amerikani
schen Städte bzw. einzelner Teilbereiche der Stadt stärker von
der Deindustrialisierung betroen als andere? Warum haben in
den vergangenen Jahren einige Städte eine positive Entwicklung
erfahren, während anderenorts die in den 1950erJahren einset
zende Abwärtsspirale scheinbar nicht zu stoppen ist? Warum
sind bestimmte Städte oder Stadtviertel nach Jahren des Verfalls
wieder für Bewohner und Besucher attraktiv, während andere
nach wie vor gemieden werden? Ist mit dem Aufwärtstrend ein
Funktionswandel einhergegangen oder haben die Städte ihre
früheren Funktionen wiederbeleben können? Warum hat sich
die Bevölkerung einiger Städte im Süden und Westen der Lan
des innerhalb weniger Jahrzehnte vervielfacht, während andere
Städte in diesen Regionen weit langsamer gewachsen sind? Wie
haben sich die Städte verändert und wie sind die Veränderungen
zu bewerten? Welche Gruppen der Bevölkerung protieren von
positiven Veränderungen? Gibt es auch Verlierer, und wer sind
sie? Diese und viele andere spannende Fragen gilt es im Folgen
den zu beantworten. Obwohl der Fokus des Buches eindeutig auf
den Kernstädten und insbesondere auf deren zentralen Bereichen
liegt, darf der suburbane Raum, ohne den die USamerikanische
Stadt nicht denkbar ist, nicht vernachlässigt werden.
1.1
Die Stadt in Zahlen
In den USA gibt es keine Einwohnermeldeämter, die Daten zu
der in einer Stadt oder Region lebenden Bevölkerung sammeln.
Volkszählungen, die seit 1790 alle zehn Jahre durchgeführt wer
den, gleichen dieses Manko aus. Der census ist in den USA weit
weniger umstritten als in Deutschland und wird stets mit einem
groen Werbeaufwand und von umfangreichen Presseberichten
begleitet ( . Abb. 1.2 ). Stichtag der letzten Volkszählung war der
1. April 2010. Alle fünf Jahre, also jeweils in Jahren, die mit ei
ner Zwei oder Sieben enden, werden ebenfalls vom U.S. Bureau
of the Census Daten zu den Verwaltungsstrukturen aller Bun
desstaaten erhoben. Ein Blick in diese Statistiken zeigt, dass die
USA nicht nur in 50 Bundesstaaten, sondern darüber hinaus in
3034 counties, 35.886 Gemeinden unterschiedlicher Rechtsform
und weitere 50.087 Verwaltungsbezirke für besondere Aufgaben
untergliedert sind. Zu Letzteren gehören u. a. 12.884 Schuldist
rikte sowie Bezirke für die Wasserversorgung des Landes (Daten
für 2012,   www.census.gov ). Die Grenzen der Verwaltungs
bezirke für besondere Aufgaben sind nicht deckungsgleich mit
den Gemeindegrenzen. Ein Schulbezirk kann mehrere Gemein
den sowie gemeindefreies Land umfassen. Gleichzeitig können
gröere Städte mehreren Schuldistrikten zugeordnet sein. Die
starke Zersplitterung der öentlichen Aufgaben ist ein wesentli
cher Grund dafür, dass die groen metropolitanen areas (s. u.) nur
eingeschränkt regierbar sind. Auerdem ist es nicht immer ein
fach, das umfangreiche statistische Material richtig zuzuordnen.
Positiv ist aber, dass in den USA alle vom U.S. Census Bureau
erhobenen Daten als Allgemeingut betrachtet werden und im
Internet frei abruar sind (   www.census.gov ).
In den USA werden Gemeinden incorporated und somit zur
Stadt erhoben, wenn sie eine bestimmte Einwohnerzahl und
dichte erreicht haben. Die Werte variieren von Bundesstaat zu
Bundesstaat und wurden im Lauf der Zeit mehrfach verändert.
Neue Städte erhalten das Recht, einen eigenen Bürgermeister und
andere Amtsträger zu wählen und lokale Abgaben wie Verkaufs
steuern und Grundsteuern festzulegen. Gleichzeitig müssen sie
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