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len Identitätsbildung. Dem entgegengesetzt ist das Interesse, Kontrolle über
die öfentlich geführte kulturelle Kommunikation auszuüben, und dafür steht
die Institution der Zensur oder, neutral formuliert, der Kommunikationskon-
trolle. Schule, Universität, Forschungsinstitution, Bibliothek, Presse, Verlag-
swesen und Zensur - all das sind zentrale Institutionen der Schriftkultur,
und wir sehen uns im Folgenden näher an, welche kulturellen Funktionen
diese Institutionen an der Schwelle zur Digitalisierung jeweils besitzen und
wie sie dabei durch Schrift und deren Kulturtechniken geprägt sind.
Mit der Schrift entstand die Schule . Schon in Mesopotamien wurde noch
während der Entwicklung der Schrift die Notwendigkeit erkannt, die näch-
ste Generation von Schreibern in Schulen auszubilden. 103 Die Kulturtechnik-
en des Lesens und Schreibens sind Tätigkeiten, die kaum auf anderen
Fähigkeiten des Menschen aufsetzen, nicht einmal in Grundzügen ange-
boren sind und somit mühsam erlernt werden müssen. Die Organisation
dieses Lernprozesses erfolgt in Schulen, deren Existenz in Griechenland ab
dem 5. Jahrhundert, in Rom ab etwa 200 vor Christus belegt ist. 104 Seit dem
Mittelalter setzte sich dies in Gestalt von Lateinschulen im Umfeld von
Klöstern, später durch Volksschulen fort. Neben dem Erlernen der Kultur-
techniken der Schrift als solchen geht es heute in Grundschulen darum,
auch erste Textsorten, etwa die des Märchens oder der Fabel, kennen-
zulernen und mit ihren jeweiligen Besonderheiten erfassen zu können. Das
Erlernen des Schreibens geht außerdem von Anfang an einher mit dem
Erlernen typisch schriftsprachlicher Formulierungsmuster. In der Schule er-
hält der Schüler also eine umfassende schriftkulturelle Prägung, die ihn be-
fähigt, durch den Erwerb kulturellen Wissens an dessen Erhalt in Welt 3
mitzuwirken.
Die ersten europäischen Universitäten entstanden um 1190 in Bologna und
um 1200 in Paris; zusammen mit den bald danach gegründeten
Universitäten in Oxford und Montpellier bildeten sie über Jahrhunderte die
Vorbilder für alle weiteren Universitätsgründungen. 105 Universitäten
entstanden also lange vor dem Buchdruck, und deshalb unterschieden sie
sich zunächst kaum von klösterlichen Skriptorien. »Vorlesung« bedeutete
damals tatsächlich »Vor-Lesung«, denn die wenigen verfügbaren
Manuskripte antiker und mittelalterlicher Autoritäten wie Aristoteles oder
Augustinus wurden den Studenten in speziellen »Lehr«-Veranstaltungen in
die Feder diktiert. 106 Die Professoren - in England noch heute Reader oder
Lecturer genannt - verlasen diese Werke abschnittsweise und erläuterten
 
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