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Aus memetischer Sicht ist es zwingend, dass, nachdem die Schrift als Ve-
hikel der Mem-Speicherung und -Reproduktion in der Welt war, solche Rep-
likationstechniken einen evolutionären Vorteil besitzen, die eine höhere
Fruchtbarkeit zu erzielen vermögen. Dies ist mit dem Buchdruck geschehen.
Wie wir in Kapitel 3 gesehen haben, konnte Gutenberg auf Anhieb eine
Beschleunigung der Buchproduktion um den Faktor 100 erreichen, und
schon im 16. Jahrhundert explodierte die Reproduktion von Texten förmlich.
Texte, also Memplexe, die per Buchdruck in hoher Zahl entstanden, ver-
drängten Texte im Mempool, die in kleiner Zahl handschriftlich reproduziert
wurden.
Nun lassen sich handschriftliche Texte leicht in gedruckte Texte ȟberset-
zen«. Am Rückgang und schließlich nahezu vollständigen Untergang der
Buchmalerei allerdings kann man sehen, dass diese mediale Transformation
Auswirkungen auch auf das Produkt selbst hatte, wie es bei jedem Medien-
wechsel zu verzeichnen ist. Und in der Tat veränderte sich auch die Art der
Texte mit dem Übergang zum Buchdruck deutlich: Bücher wurden billiger,
was dazu führte, dass nicht nur die allerwichtigsten Werke antiker Autor-
itäten reproduziert werden konnten, sondern auch Kapazitäten frei wurden
für neuartige Textsorten: weltliche Erzählungen, politische Kommentare, ak-
tuelle Nachrichten. Neue Meme konnten sich aus ihrem Biotop heraus aus-
breiten und fanden günstige Lebensbedingungen in den Köpfen der
Menschen. So wie vor langen Zeiten der Karren nicht nur Getreide, sondern
auch die Idee des Rades transportierte, transportierten die Flugblätter im
frühen 16. Jahrhundert nicht nur die Ideen der Reformation, sondern auch
die des Buchdrucks. Die Evolution der Meme hatte nach Sprache und Schrift
einen dritten Schritt genommen, um ihre Wiedergabetreue, Langlebigkeit
und Fruchtbarkeit zu erhöhen.
Wenn Lesen und Schreiben Teile eines memetischen Replikationsprozesses
sind, handelt es sich um Prozesse der Nachahmung, der Mimesis. Mit der
Verwendung von Schrift wird Mimesis zur Kulturtechnik, die gelehrt und
gelernt werden muss. Beherrscht man diese, entsteht wie beim Hören eines
Satzes auch beim Lesen im Kopf eine Bedeutung, die aus Konzepten zusam-
mengesetzt ist. Das Mem, das der Schreiber in schriftlicher Gestalt
niedergelegt hat, hat sich somit im Gehirn eines anderen Menschen repliz-
iert. Der handschriftliche Text kann diesen Replikationsprozess efektiv un-
terstützen, und noch mehr das gedruckte Buch mitsamt der Distributionslo-
gistik und dem Buchhandel, den Bibliotheken und den Bildungsstätten, die
dahinterstehen. All das ist aus Sicht des egoistischen Mems einzig und allein
dazu da, seine Reproduktion zu unterstützen. Man kann die Medien, In-
 
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