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publizierte Friedrich Engels seinen be-
drückenden Bericht über „Die Lage der
arbeitenden Klasse in England“ und
Charles Dickens beschrieb mit drasti-
schen Worten in seinem Roman „Oliver
Twist“ die Armut jener Tage.
Mit privater Initiative ging der Earl of
Shaftesbury das Massenelend jener
Tage gezielt an, richtete Schulen ein und
kämpfte erfolgreich gegen die Kinderar-
beit - auch eine große Anzahl weiterer
begüterter Londoner versuchte mit eige-
nen Geldern, die Armut im Eastend zu lin-
dern. Im Jahre 1862 erschien von Henry
Mayhew, der 1841 die legendäre satiri-
sche Zeitschrift Punch begründet hatte,
die erste umfassende soziologische Stu-
die zu „London Labour and the London
Poor“. 1996 erschien eine Übersetzung
dieser hochinteressanten Sozialstudie in
der von Hans Magnus Enzensberger he-
rausgegebenen „Anderen Bibliothek“ un-
ter dem Titel „Die Armen Londons“. Vie-
le konkrete Fallbeispiele verdeutlichen
auch dem heutigen Leser noch recht
drastisch die große Armut jener Tage.
William Booth, der Begründer der
Heilsarmee, lieferte in seiner Untersu-
chung weitere harte Fakten: 30 % der
Bewohner lebten an der Armutsgrenze,
60 % vegetierten unterhalb des Existenz-
minimums. 1902 mischte sich der ame-
rikanische Schriftsteller Jack London un-
ter die arme Bevölkerung und studierte
das Leben der einfachen Leute.
Gegen Ende des 19. und Anfang
des 20. Jahrhunderts brandeten aber-
mals zwei Einwanderungswellen in das
Eastend: Zuerst strömten osteuropäi-
sche Juden in dieses Viertel und auch
sie waren und blieben bitterarm. Noch
heute befindet sich in der Brune Street
eine ehemalige Armenspeisungsstätte
aus dem Jahre 1902: Über die gesamte
Länge der Häuserfront verläuft unterhalb
des ersten Stockes die Inschrift „Soup
Kitchen for the Jewish Poor.“ Ende des
Zweiten Weltkriegs sowie in den 1950er-
Jahren kamen die Bewohner der ehema-
ligen britischen Kolonien in Britanniens
Metropole, sie bestimmen bis heute das
Straßenbild im Eastend.
Ein gewalttätiges Ereignis, das in der
Geschichte des Eastend bis heute leben-
dig ist, sah gar den jungen Sir Winston
Churchill als Akteur.
Die sogenannte Sidney-Street-Belage-
rung trug sich im Jahre 1910 zu. Bei ei-
nem Einbruch in ein Juweliergeschäft tö-
teten Gangster auf ihrer Flucht mehrere
Polizisten und verwundeten weitere Bob-
bys schwer. Churchill, zu jener Zeit Innen-
minister und durch die Polizistenmorde
ins öffentliche Kreuzfeuer geraten, schal-
tete sich persönlich in die Fahndung ein.
Schnell hatte man die mutmaßlichen Kil-
ler in einem Haus des Eastend lokalisiert.
Der junge und agile Politiker befahl, das
Gebäude zu stürmen. Fünf Stunden lang
lieferten sich die Polizei und die zwei
verbarrikadierten Männer ein Feuerge-
fecht. Als die Lage für die beiden Gangs-
ter immer aussichtsloser wurde, setz-
ten sie das Haus in Brand und schossen
so lange weiter, bis sie vom einstürzen-
den Dach begraben wurden. Nachdem
die Feuerwehr die Löscharbeiten abge-
schlossen hatte, fand die Polizei die bis
zur Unkenntlichkeit verkohlten Leichen.
Weder konnten die beiden Personen je
identifiziert werden, noch kam zweifels-
frei ihre Beteiligung an dem Verbrechen
zutage.
In den 30er-Jahren des 20. Jahrhun-
derts machten die britischen Faschis-
ten das Eastend unsicher, zerstörten
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