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Anders als der vereinheitlichende
Oberbegriff suggeriert, verschwand
der „alte Stil“ damit aber keineswegs.
Tatsächlich hat man, wenn man von
Renaissance spricht,
zwei
gänzlich
verschiedene, teilweise sogar regel-
recht konträre Linien bzw.
Malschulen
in Betracht zu ziehen.
Die eine Linie geht von der sog.
In-
ternationalen Gotik
aus, wie sie der
weit gereiste Umbrier
Gentile da Fabri-
ano
1423 mit der vielbeachteten „An-
betung der Könige“ in Florenz einführ-
te. Dieser Stil hatte seinen Ursprung in
der sienesisch-italienischen Gotik des
frühen Trecento, war aber im Lauf der
Zeit nördlich der Alpen teils höfisch-
repräsentativ „verfeinert“ (Miniaturm-
alerei), teils mit einem gewissen „Rea-
lismus“ (Genremalerei) angereichert
worden und sprach auf Anhieb die tra-
ditionelle Vorliebe der Italiener für
Form, Schmuck und Design an. Die
malenden Mönche
Fra Angelico
und
Fra Filippo Lippi
zählen ebenso zu den
Vertretern dieser eher gegenständlich-
dekorativen Kunst wie die eleganten
Gesellschaftsmaler
Benozzo Gozzoli
und
Domenico Ghirlandaio
oder der
charismatische
Botticelli.
Die zweite, eher „revolutionäre“
Linie ist ein Florentiner Sonderweg (so
wie Florenz schon im 11.-13. Jh. die
pisanische Romanik verschmäht und
die sog. Proto-Renaissance hervorge-
bracht hatte) und führt von
Masaccio,
der nur ein bis zwei Jahre später als
Gentile die florentiner Bühne betrat
(1424/25), über
Paolo Uccello
und
Piero della Francesca
unmittelbar zu
Michelangelo.
punkt dieser völlig neuen und glei-
chermaßen rationalen (Geometrie,
Perspektive) wie expressiven (realitäts-
nahen) Malerei ist die Kunst Giottos.
Beide „Schulen“ liefen zwar parallel,
tauschten sich aber gegenseitig aus,
befruchteten einander und erfreuten
sich trotz ihrer Gegensätzlichkeit prak-
tisch das gesamte 15. Jh. hindurch un-
gebrochener Popularität - einem Fra
Angelico wurde ebenso wie einem
Uccello die Protektion eines Cosimo
de'Medici zuteil. Die dekorative Sinn-
lichkeit und Eleganz des spätgotischen
Zweigs entsprach den
aristokratischen
Neigungen der neureichen Bourgeoi-
sie, die den Höfen von Mailand, Nea-
pel, Paris und Burgund nacheiferte
(Prachtentfaltung, Selbstdarstellung,
Repräsentanz), die eher nüchterne
und strenge Rationalität der Neuerer
um Brunelleschi, Donatello und Ma-
saccio gemahnte sie an ihre Wurzeln
als Kaufleute und Citoyens (Vernunft,
Bodenständigkeit, Risikobereitschaft)
und entsprach voll dem
republikani-
schen
Geist der Stadt.
Ausschnitt aus
Domenico Ghirlandaios Abendmahl
Der Hauptbezugs-