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sichimmerundimmerwiederzuschuldenkommenundverzerrtedabeiseinGesichtzueinergrinsenden
Maske,wodurchdiefaltige,leichtnachinnengewölbteStirnzwischendendickendunklenAugenbrauen
und dem tiefen Haaransatz noch schmäler wurde. Er hatte sichtlich Freude an seinem Aufschrecken der
gemarterten Mutter. Wenn sie nach der mühsamen, schweren Feldarbeit erschöpft und spät nach Hause
zurückkehrte, ging ihre Arbeit im Stall weiter, wo sie das Vieh fütterte, während der Stiefvater schon in
den Weinkeller verschwand, um zu trinken. Kam sie dann endlich ins Haus und setzte sich müde an den
Küchentisch, um in der Zeitung, die jeden Mittwoch beim Greißler Smischek in Gettsdorf auslag und
aufderinblauerKursivschrift Die Wochenschau stand,denvonihrsogeliebtenFortsetzungsroman„Ich
werde auf dich warten“ zu lesen, konnte es sein, dass zwischenzeitlich der Stiefvater betrunken aus dem
Weinkeller zurückkehrte. Dann waren seine einzigen Worte: „Hast du nix Besseres zu tun, es gibt noch
genug Arbeit!“ Diese Ungerechtigkeit konnte ich nicht ertragen.
An einem Samstagabend, nachdem wir alle - erst meine Schwester und dann ich - in einem großen
Holztroggebadethatten,dermitteninderKüchestand,saßMutterwiederamTischundstopfteSocken.
NachdemdrittenVersuch,sichwachzuhalten,schliefsieabermalseinunddiesmalfuhrsienichtwieder
hoch, sondern fiel kopfüber auf den Fußboden, den sie drei Stunden zuvor auf dem Boden kniend mit
einer Bürste und Kernseife so lange gerieben und geschrubbt hatte, bis er endlich blitzblank und sauber
war. Durch den Sturz waren Nase, Wangen und Mund aufgeschlagen und bluteten.
In den nächsten Tagen entzündeten sich ihre Verletzungen, und sie musste zum Doktor Meinrath nach
Ziersdorf gehen, dem Gemeindearzt, der ihr eine Gesichtsmaske aus Leinen schneiderte, nur mit Au-
gen und Mundlöchern - ähnlich wie die angstmachenden weißen Gespenster, die mir in der Finsternis
manchmalerschienenoderdieichindiezerschmelzendenEisblumenaufderFensterscheibedesKinder-
zimmershineinsah.UnterdieStoffmaskeschmiertederDoktoreinebrauneHeilsalbe,dieMuttertäglich
erneuern musste. Dennoch verschlechterte sich ihr Zustand immer weiter. Die Entzündungen wurden
schlimmer und schmerzhafter. Dr. Meinrath teilte ihr mit, dass sie nicht nur entzündete Wunden habe,
sondern auch noch Rotlauf bekommen hatte. Von dieser langwierigen und tückischen Krankheit würden
eigentlich nur Schweine befallen. Ganz selten werde sie auch auf den Menschen übertragen.
Wie ich meine Mutter so mit der weißen Leinenmaske über dem Gesicht sah und an den Rändern der
Leinenmaske die dicken Tränen bemerkte, die über ihre geröteten und verkrusteten Wangen kullerten,
fühlte ich mich mit einem Mal so hilflos und unsicher, dass ich, um sie zu trösten und ihr großes, uner-
trägliches Leid zu lindern, in fröhlich lautes Lachen ausbrach, mit überdrehter Stimme irgendetwas von
weißen Nachtgespenstern erzählte und ähnliche Faxen machte. Doch mein Versuch, eine bessere Laune
zu verbreiten, missglückte, leise schluchzte meine Mutter weiter; ja, sie fing nun erst richtig zu weinen
an, was jetzt auch mich todunglücklich machte.
Sechs lange Wochen lag meine gute Mutter im Bett. Der Stiefvater war völlig aus der Bahn geworfen,
machte ihr täglich Vorwürfe und beschimpfte sie auf das allerschlimmste. Sie fühlte sich schuldig, bei-
nahe den ganzen Tag war sie todtraurig und weinte. Ich litt mit ihr mit, betete zu unserem Herrgott, sie
doch bald wieder gesund zu machen.
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