Travel Reference
In-Depth Information
fat. Denn nicht wenige Politiker der Revolutionszeit zwischen 1918-23
plädierten für die Einführung einer konstitutionellen Monarchie, die dem
Sultan zumindestens repräsentativ die Macht überlassen hätte. Das war
definitiv nicht im Sinne Atatürks, der mit der Vergangenheit radikal bre-
chen wollte. Die Verlagerung der Souveränität auf das Volk (bzw. die Na-
tion) nahm allen anderen möglichen Souveränitätsträgern (Sultan oder
Kalif) ein für allemal die Legitimation zu herrschen.
Auch wenn die Türkische Republik (Türkiye Cumhuriyeti) bis 1945 de
facto als Ein-Parteien-Staat kaum demokratische Lorbeeren im westlichen
Sinne sammeln konnte, muss festgehalten werden, dass ihre republikani-
sche Staatsform - trotz dreier Militärinterventionen - heute die effektivste
und stabilste unter allen islamischen Ländern darstellt: Aus einem vielleicht
anfangs taktischen Schachzug ist politische Substanz erwachsen.
Das Fest der Republik am 29.10. (cumhuriyet bayram£) ist der wichtigste
nationale Feiertag, an dem alle staatlichen Würdenträger dem Präsidenten
ihre Aufwartung machen. An diesem Tag - wie auch an allen anderen na-
tionalen Feiertagen - werden am wichtigsten Denkmal des Taksim-Platzes
in Istanbul Kränze niedergelegt: Es handelt sich um das Denkmal der Re-
publik (cumhuriyet abidesi), das Atatürk in ziviler Kleidung zeigt.
Der Populismus (halkç£l£k)
Ausgehend von den gesellschaftssolidarischen Überlegungen der So-
ziologen Emile Durkheim und Léon Bourgeois hatte der türkische Nationa-
list und Philosoph Ziya Gökalp (1876-1924) seine Idee des Populismus
entwickelt. Gemeint war ein Gesellschaftsmodell, das nicht durch Klas-
sen, sondern durch verschiedene Berufsgruppen geprägt war, die für das
Gemeinwohl zusammenarbeiten sollten.
Diese Form der sozialen Identität und Korpora tion passte genau in das
nationalistische Konzept Atatürks. Die unterentwickelte und noch vorin-
dustrielle türkische Gesellschaft kenne noch gar keine Klassen, denn die-
se seien ein Merkmal industrialisierter Staaten. Insofern seien sozialistische
oder marxistische Konzeptionen zur Erlangung der klassenlosen Gesell-
schaft für die Türkei gegenstandslos. Es komme nur darauf an, die berufli-
chen und ständischen Partikularinteressen im Interesse des Staates zu har-
monisieren, und dafür reiche eine Partei - eben die „Republikanische
Volkspartei“. Da diese das ganze Volk repräsentiere - mehr Parteien setz-
ten mehrere Klassen voraus -, sei sie allein die institutionalisierte Form des
nationalen Interesses - so das Credo des Staatsgründers.
SchönealteZeiten-IdylleaufBozcaada
 
Search WWH ::




Custom Search