Travel Reference
In-Depth Information
Eine der schönsten Szenen ist mir im Bazar von Izmir in Erinnerung ge-
blieben: Im Gewimmel vor der Hisar Camii, neben der alten und heute
restaurierten K£zlara¤as£- Karawanserei, begann der Imam sein Freitagsge-
bet. Der kleine pittoreske Platz vor der Moschee, wo ein Blumenstand und
viele einfache Bazarrestaurants vom unendlichen Strom der einheimi-
schen und touristischen Besucher passiert werden, verwandelte sich im
Nu in einen Gebetsteppich. Für eine ganze Weile schien die ansonsten so
moderne, geschäftige Szenerie verwandelt zu sein; männliche Ladenbe-
sitzer und Besucher reihten sich nebeneinander, um gemeinsam das Ge-
bet zu verrichten, mit gesenkten Köpfen den sonoren Worten des Imams
zu lauschen, jeden Quadratmeter Platz zu nutzen, um so direkt neben den
Essstühlen der Restaurants ihre Verbeugungen gen Mekka zu machen.
Türkische Metropolen ersetzen für Genießer der Beobachtung jeden Ki-
nofilm. Wie gesagt: Der Neuankömmling sollte mit sich Geduld haben,
nicht alles auf einmal verstehen wollen, sich am Anfang nicht zuviel vor-
nehmen und vor allem weder die guten noch die schlechten Erlebnisse zu
hoch bewerten. Denn erst dann - und das ist eine akzeptierte Erfahrung
des Kulturschocks - wird das brodelnde Außen mit seinen fremden
Gerüchen, Geräuschen und kontrastreichen Bildern auch zum innerlichen
Stress. Geduld!
Die braucht man auch, allerdings ganz anders, wenn man den Westen
und die Städte der Türkei verlässt, um über die Dörfer zu fahren. Das Le-
ben wird, zeitlich gesehen, gemächlich, das Dolmu ¥ system großmaschi-
ger und taktarm - manch abgelegene Dörfer sind von der nächsten Kreis-
stadt nur einmal täglich, manche gar nicht oder nur sehr schwer mit öf-
fentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen. Sab£r! Auch das Geldwechseln
wird, je weiter man nach Osten kommt, zeitaufwendiger, jedenfalls wenn
man Schecks hat. Nicht mehr jede Bank akzepti ert den bequemen und si-
cheren Geldersatz, und die Wechselprozedur selbst dauert auch etwas
länger, da der Beamte die Schecks sicherheitshalber zweimal seinem Vor-
gesetzten zeigt.
Dass die Zeit hier zäher und bewegungsärmer fließt, hat aber auch sei-
ne Vorteile. Der Tag wird zum räumlich dominierten Bild, die Szenerie,
egal welche, hat Zeit zum Wirken - genau wie die Menschen, die einem
nun in der Tat zum ersten Mal richtig „anders“, erdig und bodenständig,
erscheine n mögen. Kommt man dann nach Wochen in die westtürkische
Großstadt zurück, staunt man über ihre Modernität und Schnelllebigkeit,
über ihre Effizienz und Anonymität. Wer aus Ostanatolien kommt, fühlt
sich in Izmir längst schon wieder in Europa, während der Neuankömmling
aus Mitteleuropa am Flughafen neugierig und etwas nervös „ asiatischen“
Boden betritt.
Search WWH ::




Custom Search