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Vom Zentrum an den Rand - die Geschichte der Borgate
Jeder Tourist, der Rom besucht, wird zu-
mindest einmal über die Via dei Fori Im-
periali laufen, stellt sie doch die Haupt-
verbindungsstraße zwischen dem anti-
ken Rom und dem Rom der Päpste dar.
Noch vor weniger als hundert Jahren aber
stand dort, wo heute die Straße zum Fla-
nieren entlang der Überreste der Kaiser-
foren einlädt, ein eng bebautes Stadtvier-
tel, das sogenannte Quartiere dei Pantani,
dessen Ursprünge bis weit in das Mittel-
alter hineinreichen. Es handelte sich um
keine besonders attraktive Wohngegend,
der Untergrund war feucht und die Be-
bauung genauso ärmlich wie die Bevölke-
rung, die dort lebte.
Der von den Faschisten veranlass-
te Neubau der Straße ist Ausdruck der
Selbstinszenierung des faschistischen Re-
gimes. Mussolini ging es vor allem um die
optische Wirkung und den ideellen Hin-
tergrund: Das 1886 fertiggestellte Natio-
naldenkmal als Symbol des wiedererstan-
denen Italien sollte mit dem alten Rom der
Cäsaren verbunden werden.
Die neugeschaffene Straße war auch
der Beginn der Ära der „autogerechten
Stadt“ in der italienischen Hauptstadt.
Schon in den 1930er-Jahren strömten täg-
lich 25.000 Automobile durch die vierspu-
rige Straße. Das waren nur die bescheide-
nen Anfänge einer Entwicklung, die aus
der Via dei Fori Imperiali nach dem Zwei-
ten Weltkrieg eine der wichtigsten Ver-
kehrsadern Roms machte. Als der Smog
und die Zerstörung der antiken Bauwerke
zu einem immer größeren Problem wur-
den, erklärte die römische Stadtregierung
die Straße erstmals in den 1980er-Jahren
zur Fußgängerzone.
Aus dem Plan des Duce, Rom zur re-
präsentativen Hauptstadt eines wieder-
erstandenen italienischen Weltreiches zu
machen, folgte eine radikale Umgestal-
tung des römischen Stadtzentrums, bei
der, ganz im Stil der Zeit, keine Rücksicht
auf individuelle Bedürfnisse genommen
wurde. Das Quartiere dei Pantani musste
mitsamt seinen Bewohnern dem Bau der
Prachtstraße Via dei Fori Imperiali wei-
chen. Historiker gehen davon aus, dass
etwa 18.000 Menschen von der Neugestal-
tung der Innenstadt in den 1930er-Jahren
betroffen waren. Sie wurden schlichtweg
aus ihren Behausungen, in denen ihre
Familien schon seit Jahrhunderten lebten,
vertrieben. Es traf vor allem, das „popoli-
no romano“, diejenigen Römer, die von
den Einwanderungswellen, die Rom nach
der Einigung Italiens 1870 erlebte, kul-
turell und sozial überrollt wurden. Die-
se römische „Urbevölkerung“ verweiger-
te sich in ihrem sozialen Verhalten den
„Segnungen der Moderne“, von denen die
Stadt umgewälzt wurde. Den Faschisten
waren sie ein Dorn im Auge, sie galten
als für ihre Ideologie ohnehin verlorene
Minderheit.
Nirgendwo meldeten sich kritische Stim-
men gegen die Vertreibung des „popolino
romano“. Die politische Opposition in Ita-
lien war damals schon seit Jahren ausge-
schaltet. In ganz Europa war das faschis-
tische System salonfähig geworden. Mus-
solini galt vielen, auch liberal gesinnten
Zeitgenossen, als „Retter Italiens“.
Für die Verlierer von Fortschritt und
Moderne ließ der Staat draußen vor
den Toren des neuen bürgerlichen Rom
Elendssiedlungen errichten. In Schnell-
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