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Energieminimum des Systems entsprechen. Man spricht von polykristallinem Material mit
Gitterfehlern. Physikalisch ausgedrückt: Ein Teil der Atome ist in einem lokalen Energie-
minimum verblieben. Das globale, absolute Energieminimum wäre ein einheitlicher, fehler-
freier Kristall. Durch erneutes Schmelzen und sehr langsames Abkühlen kann man nun errei-
chen, dass ein Material entsteht, das diesem Optimum näher kommt. Dieser Prozess wird in der
Metallurgie als „annealing“, deutsch oft als „kontrollierte Abkühlen“ oder auch als „Tempern“
bezeichnet. Er beruht wesentlich auf einem Effekt, der von einem der theoretischen Begründer
der Thermodynamik, Ludwig Boltzmann, adäquat beschrieben wurde: Ein Atom, das sich in
einem bestimmten Energiezustand E befindet, kann in einem System mit einer bestimmten
(absoluten) Temperatur T mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit p einen Zustand höherer
Energie E + 'E annehmen, die nach der Formel
p e 'E/kT
(3.14)
berechnet wird; wobei k die so genannte Boltzmannkonstante ist, nämlich eine Naturkonstante,
die Temperatur mit Energie verknüpft. e x ist natürlich die bekannte Exponentialfunktion. 9
Ein lokales Minimum der Energie kann man sich nun als so etwas wie eine „Mulde“ in der
graphischen Darstellung der Energiefunktion vorstellen, die von einem Atom in dieser Mulde
nur durch „Überspringen“ des Randes, also durch Anheben seiner Energie mindestens auf den
Wert des Randes, verlassen werden kann. Mit anderen Worten: Es gibt eine gewisse, durch die
Boltzmannfunktion gegebene Wahrscheinlichkeit, dass ein Atom in einem lokalen Energiemi-
nimum dieses wieder verlassen kann, d. h. eine Chance hat, ein tieferes oder gar das globale Mi-
nimum zu erreichen, allerdings durch den Umweg über eine zwischenzeitlich höhere Energie.
Diese physikalische Erkenntnis wird nun dafür ausgenutzt, einen Optimierungsalgorithmus zu
konstruieren, der als Simulation des kontrollierten Abkühlens fungieren soll. Anders als bei
den evolutionären Algorithmen geht es hier also nicht um das Erreichen eines Optimums, son-
dern um die systematische Suche nach einem möglichst globalen Energieminimum. Die obige
Formel zur Berechnung bestimmter Wahrscheinlichkeiten wird dabei eingesetzt, um auch
schlechtere Lösungen während der algorithmischen Suche nach dem jeweiligen globalen Mi-
nimum zuzulassen. Der Grund dafür ist natürlich der gleiche, aus dem schlechtere Lösungen
bei den evolutionären Algorithmen zugelassen werden; sie sind die notwendige Bedingung
dafür, dass ein erreichtes lokales Minimum zugunsten besserer Lösungen überhaupt wieder
verlassen werden und ggf. das globale Optimum bzw. Minimum erreicht werden kann.
Formal betrachtet wird ein Optimierungsproblem, das durch eine SA-Strategie gelöst werden
soll, dadurch definiert, dass man a) einen Zustands- bzw. einen Lösungsraum angibt und b)
eine so genannte „objective function“ definiert, was nichts anderes als eine entsprechende
Bewertungs- bzw. Fitnessfunktion ist; diese wird, da sie das Analogon zur Energie beim physi-
kalischen Vorgang darstellt, insbesondere in der deutschsprachigen Literatur gewöhnlich als
„Energiefunktion“ bezeichnet. c) Schließlich wird im Zustandsraum eine topologische Struktur
festlegt. Die letztere Bedingung soll ermöglichen, Zustände im Lösungsraum als mehr oder
weniger benachbart zu charakterisieren; visuell verdeutlichen kann man sich diese Forderung
an der Umgebungscharakterisierung von Zellularautomaten.
Darüber hinaus ist ein der Temperatur T entsprechender Kontrollparameter zu definieren, der
den Prozess eines SA steuert. Weil dieser Kontrollparameter beim SA keinen physikalischen
9
Die „transzendente“ Zahl e hat in etwa den Wert e = 2.71828 ...; häufig wird die Funktion e x auch
bezeichnet mit exp x.
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