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Der Grund dafür, dass der Bereich des Soft Computing für ganz unterschiedliche Wissenschaf-
ten und Anwendungsbereiche immer wichtiger wird, liegt u. E. genau in der Tatsache, dass
man damit erfolgreich versucht, reale Prozesse, d. h. komplexe Systeme mit ihren jeweiligen
intuitiv kaum nachvollziehbaren Problemen, möglichst exakt abzubilden. Die kognitiven Fä-
higkeiten von Menschen z. B., in ganzheitlichen Mustern und assoziativ zu denken, unvoll-
ständige Informationen zu vervollständigen und Gemeinsamkeiten verschiedener Situationen
zu erfassen, können zumindest prinzipiell durch neuronale Netze sehr gut modelliert und prak-
tisch verwendet werden; traditionelle Verfahren sind demgegenüber weit weniger effektiv. Die
adaptiven Fähigkeiten biologischer und sozialer Systeme, die sowohl biologischen Gattungen
als auch ganzen Gesellschaften es immer wieder ermöglicht haben, unvorhergesehene Umwelt-
anforderungen zu bewältigen, sind mathematisch hervorragend durch genetische Algorithmen
und andere evolutionäre Algorithmen darzustellen, experimentell zu untersuchen und praktisch
anzuwenden. Entsprechend bilden zelluläre Automaten eine sehr anschauliche Möglichkeit, die
Nichtlinearität selbstorganisierender Prozesse bei lebenden Systemen und in der sozialen Reali-
tät zu studieren. Unter anderem sind etwa soziale Organisationen sowohl in ihrer Logik der
Selbstorganisation als auch in ihren adaptiven Verhaltensweisen weitere Beispiele dafür, dass
man diese formalen Techniken praktisch unbegrenzt einsetzen kann.
Charakteristisch für den Einsatz von Soft-Computing-Modellen ist ihre Verwendung als so
genannte bottom-up Modelle . Natürlich ist es auch möglich, Soft-Computing-Techniken als so
genannte top-down Modelle zu verwenden, was in unseren Arbeiten mehrfach geschehen ist
(Stoica 2000; Klüver 2000). Die eigentliche Stärke dieser formalen Modelle jedoch liegt -
neben ihrer prinzipiellen Einfachheit und Kombinierbarkeit mit verschiedenen Techniken - in
den Möglichkeiten, bottom-up Modelle durch sie verhältnismäßig einfach und realitätsadäquat
zu konstruieren. Die prinzipiellen Differenzen zwischen bottom-up und top-down Ansätzen
lassen sich besonders illustrativ an einem bekannten Beispiel verdeutlichen, nämlich der ma-
thematischen Analyse von Räuber-Beute-Systemen.
Eine längst klassische top-down Modellierung beruht auf den berühmten Differentialgleichun-
gen von Lotka und Volterra
wx/wt = ax - bx 2 - cxy
wy/wt = - ey + cxy, (1.1)
wenn x und y jeweils die „Dichte“ der Beute- und Räuberpopulation ausdrücken. Die diesen
Gleichungen zugrunde liegenden Annahmen sind dabei, dass ohne Räuber das Wachstum der
Beute der bekannten logistischen Wachstumsgleichung folgt
wx/wt = ax - bx 2 (1.2)
und dass die Rate, mit der die Beute gefressen wird, proportional dem Produkt der Dichte von
jeweils Räuber und Beute ist (vgl. Maynard Smith 1974). Modelliert wird mit diesen Glei-
chungen, die auch die mathematische Grundlage für zahlreiche einschlägige Simulations-
programme sind, offenbar das „globale“ Verhalten des Räuber-Beute-Systems, also die Ge-
samtentwicklung der beiden Populationen, ohne Berücksichtigung des Verhaltens einzelner
Tiere - sei es Räuber oder Beute. Dies wird sozusagen aggregiert, indem es als statistisch er-
fassbares Durchschnittsverhalten in die jeweilige Dichte der Populationen eingeht und so „top
down“ das Gesamtverhalten des Systems generiert.
Ganz anders sieht ein bottom-up Modell des gleichen Ökosystems aus, das auf der Basis eines
Soft-Computing-Modells, in diesem Fall eines Zellularautomaten, konstruiert wird und das für
didaktische Zwecke von uns entwickelt worden ist. Man geht hier, wie bei allen Zellular-
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