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Zuhause. Noh mehr als die eigene Wohnung war das für die Istanbuler jahrhun-
dertelang die Mahalle , der eigene Kiez. »Jeder kannte eines jeden Vorleben«, erinnert
sih der Shritsteller Yaşar Kemal, »wusste, was er tat, was er aß und trank, wie ot
er in der Wohe und in der Naht mit seiner Frau shlief, wer zu welher Geliebten
und wer ins Bordell ging, wer sih in Beyoğlu herumtreibend auf den Kuruş genau
wie viel verdiente, wer in welher Spielhölle, bei welhem Shmugglerring arbeitete,
welhes Mädhen und welhe Frau beim Orgasmus spitze Shreie ausstieß und wer
dem Mann diesen Gipfel der Lust nur vortäushte …«
Diese abgeshlossenen Nahbarshaten, eine jede ein Mikrokosmos für sih, gab
es shon zu byzantinishen Zeiten. Unter den Osmanen dann haten Griehen, Ar-
menier und Juden lange ihre eigenen Viertel. Dort konnten sie ungestört am Sabbath
oder Sonntag ihren Gotesdienst feiern und hörten doh den Ruf des Muezzin, der
zwei Straßen weiter die Gläubigen in die Moshee lud. Es gab aber auh immer shon
gemishte Viertel. Für viele Türken war die Mahalle bis in die neue Zeit hinein eine
Art Dorfgemeinshat in der Stadt. Kinder konnten überall spielen, mahten Gener-
ation für Generation ihre ersten Erfahrungen in der Mahalle : die ersten Prügel, die
ersten geklauten Plaumen, die erste Bande, der erste Flirt. Hunde lebten in Istanbul
immer und überall draußen in den Straßen, und doh untershied man zwishen den
eigenen » Mahalle -Hunden« und fremden »Gassenhunden«. Überhaupt waren Frem-
de niht gerne gesehen. Die Mahalle shotete sih ot durh Sakgassen vom Rest
der Stadt ab, freien Zutrit haten lediglih Trödler, Messershleifer und die liegenden
Händler mit ihren Melonen, ihrem Eis oder ihren Lutballons.
Abends zwishen fünf und sieben waren die betriebsamsten Stunden. Die Kinder
waren von der Shule zurük, die Eltern von der Arbeit, man grüßte einander, lud sih
gegenseitig ein: »Nah dem Essen …« Die Jungs passten um diese Zeit höllish auf,
dass kein Erwahsener sie beim Rauhen erwishte. Zu den großen Festen besuhten
die Kinder all die Großväter und Großmüter, Tanten und Onkels der Mahalle und
knieten vor ihnen nieder, um ihnen die Hände zu küssen - eine Geste des Respekts
gegenüber Älteren oder Höherstehenden, die man auh heute noh sieht. In der Ma-
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