Travel Reference
In-Depth Information
Oft kollidierten am Anfang deutsche Unverblümtheit und Planungswut mit tschechischer
Reserviertheit und Spontaneität. Die Lage war »nicht idyllisch«, oft prallten kontrastierende
Mentalitäten aufeinander, wie in der Firmenchronik unverbrämt zu lesen ist: »die einfallslose
Respekthaltung der Deutschen mit der chaotischen Kreativität und Improvisationsgeneigtheit
der Tschechen«. Der Ingenieur und Manager Pavel Vacek, hoch droben in seinem lichten Büro,
vor einem Luftbild des Škoda-Werkes, sagt es »ganz bewusst ein bisschen überspitzt« so: »Auf
der einen Seite waren ab und zu zu stolze Tschechen und auf der anderen Seite zu kluge neue
deutscheKollegen.«Undfügtan:»HeuteistdassicherkeinThemamehr.Daswarsehrpersonen-
speziisch.«
Man rückte den Gegensätzen mit interkulturellen Seminaren zu Leibe und raufte sich sys-
tematisch zusammen. VW gab den Ton und die Schlagzahl an und investierte Milliarden. Man
errichtete neue Fertigungslinien, legte neue Modelle auf, baute ein neues Aggregate- und ein
Montagewerk,steuerteAbläufeundLogistikum,änderteStrukturenundführtekonzernweitdie
berühmten Synergieeffekte herbei, sodass zum Beispiel das Modell Škoda Octavia und der VW
Golf einander zu fünfundsechzig Prozent gleichen.
Mitarbeiter mussten umschulen, die Zahl der Beschäftigten, vor dem VW -Einstieg bei dreiun-
dzwanzigtausendund1991beiachtzehntausend,wurdezeitweiseaufsechszehntausendachthun-
dertsechsundzwanzigabgesenkt.Ende2005aberlagsiebeifastsechsundzwanzigtausend,davon
alleininMladáBoleslavübereinundzwanzigtausend,dierestlichenindentschechischenWerken
VrchlabíundKvasiny.Ende2010betrugsieweltweitvierundzwanzigtausendsiebenhundert.Und
keine Zahl hebt die epochale Bedeutung der Zäsur von 1991 so deutlich hervor wie die Produk-
tionsziffer:SeitdemEinstiegvon VW hatŠkodaAutobinnenwenigeralsfünfzehnJahrenmehrals
fünf Millionen Fahrzeuge erzeugt, das fünfmillionste, einen metallic-beigen Octavia, schmückten
die Arbeiter am 1. November 2005 fürs Pressefoto mit einem Blumenstrauß auf der Haube - und
fünf Millionen waren es auch in den fünfundachtzig Jahren zwischen 1906 und 1991. Inzwischen
wurdedieProduktionnocherheblichausgeweitet,zumdrittenMalwirddieFünf-Millionen-Sch-
welle bereits Ende 2012 erreicht.
Das sind Erfolge, die zusammen mit den Bestnoten für Qualität und Design auch Josef
Středula begeistern, den Chef der tschechischen Metallarbeiter-Gewerkschaft KOVO . »Unsere
Leute können riesige Dinge schaffen«, sagt er mit Blick auf die lange Industriearbeitertradition
im Land. Nur: »Von der Tradition allein kann man nicht leben.« Versteht sich, dass andererseits
der Gewerkschaftsführer auf einer Anerkennung der Qualitätsarbeit seiner Mitglieder in der
Lohnrunde pocht. Das monatliche Bruttoeinkommen eines Bandarbeiters bei Škoda lag 2005 bei
umgerechnet rund sechshundertfünfundzwanzig Euro - knapp einem Viertel des Wolfsburger
VW -Niveaus bei allerdings höherer Kaufkraft und niedrigeren Steuern. 2011 war es bereits auf
rund tausendzweihundert Euro im Monat gestiegen.
Nicht Wolfsburg, sondern das tschechische Umfeld ist indes für die Gewerkschaft der Orien-
tierungsrahmen, und da liegen die Škoda-Arbeiter traditionell spürbar über dem durchschnitt-
lichenNiveau.Wassieindesnichtdaranhindert,immerwiedereinmalmiteinemWarnstreikoder
mit Protesten kräftige Tariferhöhungen und Jahresboni durchzusetzen. »Wir sind keine deutsche
Kolonie und erbitten keine Almosen«, sagt der örtliche Gewerkschafter Jaroslav Povsik.
Search WWH ::




Custom Search