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wohner (davon 12.000 legale) unterhielten
Fürsorgeeinrichtungen, ein medizinisches
Versorgungssystem, Schulen, ein Gericht,
Polizei und ein Ghettotheater, wo 120 Stücke
aufgeführt wurden (hier ist heute das Mario-
nettentheater). Verantwortlich für die Orga-
nisation des alltäglichen Lebens war der
Judenrat. Wer nicht in die Arbeitslager
kam, wurde in Konzentrationslager nach
Lettland und Estland deportiert oder im
Wald von Paneriai (s. dort) erschossen.
Widerstandskämpfer unterschiedlicher
politischer Richtungen vereinigten sich zur
FPO (Farejniikte Partisaner Organisazje). Sie
konnten zwar keinen Aufstand organisieren,
ermöglichten aber bis zur endgültigen Auf-
lösung des Ghettos am 23. September 1943
rund 6000 Menschen die Flucht.
Die Ghettos wurden 1944 von den Sow-
jets vollends zerstört, die Große Synagoge
in die Luft gesprengt. Der 23. September ist
heute der Gedenktag an den Holocaust,
der in keinem anderen Land so brutal umge-
setzt wurde wie hier. Nur etwa 800 Ghetto-
bewohner überlebten ihn. Die Bevölkerung
von Vilnius sank größtenteils deswegen von
209.000 vor Kriegsbeginn auf nur noch
110.000. Einige Historiker behaupten, dass
die meisten Juden unter Beihilfe oder di-
rekt von Litauern ermordet wurden (aus
Rache, da sie die Juden für Spitzel und Hel-
fer der Sowjets hielten. Von 25 Polizeibatail-
lonen waren 10 aktiv an Verbrechen gegen
Juden beteiligt). Überlebende sagten auch,
dass die litauischen Kommandos oft noch
grausamer als ihre deutschen Vorgesetzten
handelten. Auch heute wird nicht gern über
das dunkle Kapitel gesprochen, man liest
meist nur von „örtlichen“, nicht jedoch von
litauischen Kollaborateuren. Von den jüdi-
schen Gedenkstätten abgesehen werden
die Sowjets allgemein in einem viel schlech-
teren Bild als die deutschen Besatzer ge-
zeigt. Das heutige Verhältnis zu den Juden
ist immer noch etwas belastet, und in Vilnius
leben zur Zeit nur noch 3500 jüdische Ein-
wohner. Andererseits gibt es Pläne, mit
westlicher Hilfe Teile des Ghettos wieder-
aufzubauen und mehr Gedenk- und Hin-
weistafeln anzubringen.
Infos beim Zentrum für Toleranz, Nau-
garduko 10, Tel. 2629666, www.jmuseum.lt,
beim Chabad Lubavitch Zentrum, www.je-
wish.lt, Tel. 2150387, und bei der Uni-
versität unter www.judaicvilnius.com, Tel.
2687187.
Vom früheren „Jerusalem des Nordens“
mit seinen 105 sakralen Stätten ist bis auf
die Synagoge und die später angebrachten
Gedenktafeln (s. Rundgänge) nichts mehr
geblieben. Auch nach dem Krieg löschten
die Sowjets jüdisches Kulturgut aus. 1957
wurden die Friedhöfe im Kaln®-Park und auf
dem heutigen †algiris-Stadion geräumt und
die Grabsteine auf dem Sudervës-Friedhof
aufgestellt, soweit sie nicht zu Gehwegplat-
ten benutzt wurden (diese wurden 1991 der
jüdischen Gemeinde zurückgegeben). Dort
liegt auch das Grab des Gaon. Beim †algi-
ris-Stadion steht ein Denkmal für den dorti-
gen ehemaligen Friedhof.
Im jüdischen Gemeindezentrum (Tel.
2613003, www.litjews.org) in der Pylimo 4
befindet sich im 1. Stock eine Filiale des
Staatlichen Jüdischen Museums (Tel. 262
0730, www.jmuseum.lt), u.a. mit einer Aus-
stellung über die Große Synagoge. Der
Ghettoalltag sowie der Holocaust wird im
Museum, im „Grünen Haus“ in der Pamën-
kalnio 12 (das Gässchen hoch hinter Haus-
nummer 2) bewegend dargestellt (Tel.
2620730). Beide Museen sind Mo-Do 9-
17 Uhr sowie Fr/So 9-16 Uhr geöffnet (Füh-
rung auch auf Deutsch) und liegen auf dem
„Rundgang durch das Neue Zentrum“ (s.u.).
Daneben stehen Denkmäler für den nie-
derländischen Botschafter Zwartendijk und
den japanischen Konsul Suyihara, die 1940
durch Visaausstellungen 2200 bzw. 6000
Juden das Leben retteten. Für Suyihra wur-
de auch ein Denkmal neben der Upës gat-
vë beim Hotel Reval Lietuva aufgestellt.
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