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Während sie aber ihre Verbrechen begehen und sich ihrem Lotterleben hingeben,
vernachlässigen die Briganten keineswegs die religiösen Pflichten, auch wenn sie von
ihnen auf reinen Aberglauben reduziert werden. Doch auch diese vierschrötige
Frömmigkeit, die von der Kirche niemals mit Entschlossenheit bekämpft wurde, geht auf
eine Jahrhunderte alte Tradition zurück.
Ein Bandit, der wegen einer großen Anzahl von Morden angeklagt war, erschien vor den Richtern. Weit
entfernt, die ihm vorgeworfenen Taten zu leugnen, gestand er weitere, die ihm damals von der Justiz noch gar
nicht zugeschrieben wurden. Als man ihn aber danach fragte, ob er denn auch immer die Fastenzeit eingehalten
habe, reagierte der fromme Verbrecher empört. Dieser Zweifel war für ihn die schlimmste Beleidigung. «Ihr
verdächtigt mich also, kein Christ zu sein?», fragte er verbittert den Richter, der ihn verhörte.
Die eigentliche Motivation für diesen «Glauben» liegt darin, dass der Brigant bei seinen
Taten zwar hemmungslos das irdische Leben aufs Spiel setzt, gleichzeitig aber das ewige
Leben nicht riskieren will, wobei er in seiner Beschränktheit den blasphemischen Kontrast
zwischen seinen Verbrechen und der christlichen Botschaft ignoriert.[ 12 ]
Im Laufe seines abenteuerlichen Lebens gibt es zwei Dinge, die dem italienischen Briganten Sicherheit geben
und von denen er sich niemals trennt: das Gewehr, um sein Leben zu retten, und das Bild der Jungfrau Maria,
um seine Seele zu retten. Es gibt nichts Erschreckenderes als diese Mischung aus Brutalität und Aberglauben!
Ein solcher Mann endet schließlich mit der Überzeugung, dass ihm der Tod am Galgen einen Platz im Paradies
sichert, sofern ihm nur zuvor durch einen Priester die Absolution erteilt worden ist.
Die darauf folgende finstere Episode, auch sie aus Stendhals Büchlein, illustriert sehr
zutreffend, zu welch primitiver Grausamkeit sich die Briganten hinreißen ließen. Es ist
übrigens kein Zufall, dass sich Vorfälle ähnlicher Grausamkeit in den Tagen des Massakers
von Bronte[ 13 ] 1860 wiederholen. Ähnliches gab es auch in der Phase des eigentlichen
echten Bürgerkriegs direkt nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und ist auch heute noch
in Mafia-Untaten wiederzuerkennen, wenn im Zuge einer Vendetta nicht davor
zurückgeschreckt wird, sogar die Leiche eines Kindes in Säure aufzulösen:
1817 übte die banda dell'lndipendenza [Bande der Unabhängigkeit], die meines Wissens von De Cesaris befehligt
wurde, in Kalabrien eine absolute Schreckensherrschaft aus; sie bestand aus dreißig Männern und vier Frauen.
Ihre Schutzgeldzahler waren die Bauern und Landbesitzer, die sich davor hüteten, dem Befehl nicht Folge zu
leisten, neben einem Baumstamm oder am Sockel einer Säule an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten
Stunde das zu hinterlegen, was von ihnen gefordert wurde. Trotz alledem versuchte einer der Bauern, sich
diesem gnadenlosen Vasallentum zu entziehen. Statt seine Abgabe zu leisten, denunzierte er sie bei der
Obrigkeit; und darauf umringten Truppen zu Fuß und zu Pferde die Unabhängigen. Als die Briganten sahen,
dass sie verraten waren, gelang ihnen ein Ausfall, sie hinterließen ein Schlachtfeld, und die Leichen der Feinde
pflasterten ihren Weg. Drei Tage später nahmen sie fürchterliche Rache an dem unglückseligen Bauern.
 
 
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