Travel Reference
In-Depth Information
aber Künstler», wie er hinzufügte, oder an anderer Stelle: «in seinen Grenzen ein
Künstler»[ 24 ] ), muss zugestehen, dass D'Annunzio nicht nur «mit außerordentlicher
Klarheit» sieht, sondern das, was er sieht, auch «perfekt» abbildet.
Einige Zeit vor dem Erscheinen des Romans hatte D'Annunzio in der politisch-literarischen
Wochenzeitschrift «Fanfulla della Domenica»[ 25 ] die Nachricht lancieren lassen, er
arbeite an einem Roman über die «zeitgenössischen Sitten». Die «Sitten», die er
beschreibt, waren, um die Wahrheit zu sagen, alles andere als «zeitgenössisch». Von
gewissen Kreisen jedoch wurden sie - unter dem Einfluss des Romans - übernommen und
zu einer Mode gemacht, auch wenn dies zuweilen zur Karikatur geriet.
Doch noch aus anderen Gründen wurde der Roman zu einem Skandal. Mehr als die
sexuelle Freizügigkeit provozierten einige darin enthaltene politische Aussagen. Zum
Beispiel der Satz, mit dem Andrea Sperelli die Tumulte nach dem Massaker an
italienischen Soldaten in Dogali (Äthiopien) im Januar 1887 kommentiert. Wenige,
schockierende Worte. Aus einer Kutsche beobachtet Andrea den Aufruhr und flüstert
angesichts der aufgebrachten Menge: «Und das wegen vierhundert Kerlen, die brutal
ermordet wurden!»[ 26 ]
Schon bei der Lektüre des Manuskripts hatte der Verleger die Polemiken
vorausgesehen, die dieser Satz angesichts des politischen und gesellschaftlichen Klimas in
Italien auslösen würde, und er hatte versucht, D'Annunzio zu einer Abschwächung zu
überreden. Der Autor hatte das verweigert und geschrieben: «Lieber Herr, jeder Rat ist
überflüssig. Der Satz wird von Andrea Sperelli gesagt, nicht von mir, und in den Mund
dieses Monsters passt er gut hinein. Sie werden doch verstanden haben, dass ich mit
diesem Sperelli die Studie der moralisehen Verfassung eines Monsters liefern wollte.
Weshalb also sollten die Kritiker darüber in Raserei geraten?»
Das war natürlich gelogen. Wenige Jahre später bestätigte er in einem Brief an Georges
Hérelle, den französischen Übersetzer des Romans: «Dans Andrea Sperelli, il y a une part
vivante de moi.» («In Andrea Sperelli ist ein lebendiger Teil von mir enthalten.») Keiner
 
 
 
Search WWH ::




Custom Search