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er, dass sie Abstand genommen hat, doch dann:
… betrat [sie] die mit Gemälden von Carracci geschmückte Galerie, wo das Gedränge weniger dicht war, und
zog ihre lange Schleppe aus weißem Brokat wie eine lange Welle auf dem Boden hinter sich her. So weiß und
schlicht gewandet, neigte sie im Vorübergehen den Kopf gegen die, die sie grüßten. Sie hatte ein müdes Gesicht,
lächelte mit einer sichtbaren Anstrengung, die ihre Mundwinkel verzog, während die Augen größer erschienen
unter der blutleeren Stirn. Nicht nur die Stirn, sondern alle Züge des Gesichtes erweckten durch die große Blässe
den Eindruck einer fast unwirklichen Zartheit.[ 20 ]
Als Gabriele D'Annunzio Il piacere schrieb, war er fünfundzwanzig Jahre alt. Es war sein
erster Roman, und doch genügt bereits das gekonnte Crescendo, mit dem er den Einzug
der Heldin ankündigt, um seinen untrüglichen Erzählerinstinkt unter Beweis zu stellen.
Elena wird dem Leser stückweise preisgegeben. Als er die Situation für reif hält, führt
D'Annunzio seine Protagonistin ein mit jenem langsamen und majestätischen
Einherschreiten, bei dem ihrer Schönheit der Ausdruck von blasser, fast «überirdischer
Geistigkeit» innewohnt, ganz im Gegensatz zu den «aufgeregten, zu schnell, fast
krampfartig sich bewegenden anderen Damen, deren Gesichter vom Tanz gerötet waren,
erregt, zu lebhaft, ein bisschen hektisch».[ 21 ]
Meisterhaft ist zum Beispiel auch die Szene, in der die beiden Geliebten sich einander
endlich hingeben. Nach intensiver, in die Länge gezogener Vorbereitung stellt der
fulminante Abschluss etwas nach, was häufig auch im realen Leben geschieht: «Mit einer
plötzlichen Bewegung richtete sich Elena im Bett auf, nahm den Kopf des jungen Mannes
zwischen ihre Hände, zog ihn an sich, atmete ihm ihr Verlangen ins Gesicht, küsste ihn
und bot sich ihm dar.»[ 22 ] Selbstgefällig berichtet D'Annunzio in seinem Libro segreto
(Geheimes Buch) von einem Vorfall, der auf genau diese Art von Atmosphäre Bezug
nimmt. Als er sich mit einem der ersten gedruckten Exemplare zu Prof. Jacob Moleschott
begab, hellten sich die Züge des alten Arztes «zu einem breiten Lächeln» auf. Dann
blätterte er rasch die Seiten durch, beschnupperte sie und als Physiologe, der er nun
einmal war, gab er instinktiv eine Meinung von sich, die auch wie ein literarisches Urteil
klang: «Es riecht nach Sperma.»
In einer aus dem Stegreif im Sommer 1887 niedergeschriebenen Chronik, also ein Jahr
 
 
 
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