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Die Jüngsten Gerichte gehören also zu den Instrumenten, mit denen die Kirche versucht
hat, Gehorsam zu erzwingen und die Orthodoxie zu bewahren. Wenn es die Situation
erforderte, konnten als reale Vorwegnahmen der Höllenqualen selbstverständlich Folter
und Scheiterhaufen hinzukommen. Der ideologische Part des Gebots aber war diesen
Werken überlassen, die zur Verbreitung der strengen Mahnung konzipiert worden waren.
Seit Urzeiten gehört es zu den Zielsetzungen einer jeden Religion, die zersetzenden Kräfte,
die sich innerhalb der menschlichen Gemeinschaften entwickeln, einzudämmen. Schon der
Sophist Kritias formulierte im 5. Jahrhundert v. Chr. in seinem Drama
Sisyphos
die These,
die Götter seien erfunden worden, um die Leidenschaften im Zaum zu halten bzw. um die
Menschen zu moralischem Verhalten zu zwingen. Die Diskussion über dieses Thema hat
sich im Laufe der Jahrhunderte fortgesetzt; selbst Exponenten der heutigen «Modernen» -
die sich um das Jenseits eigentlich kaum scheren - lamentieren über die Tatsache, dass
das Versprechen des ewigen Lebens oder die Drohung der ewigen Verdammnis nicht mehr
mit der notwendigen Aufmerksamkeit beachtet werden.
Es gibt mindestens drei Methoden, asoziale Tendenzen von Individuen unter Kontrolle
zu halten: die Androhung von Strafen im Jenseits; die Androhung irdischer Strafen wie
Gefängnis, Zwangsarbeit, Todesstrafe; oder eine größtmögliche Anzahl von Individuen
dazu zu bringen, sich über die Notwendigkeit eines moralischen Verhaltens zu
verständigen, was hieße, die bürgerlichen Rechte und Pflichten aus innerster Überzeugung
zu beachten. Die letztere Methode ist die schwierigste, obwohl sie, wenn sie erst einmal
im großen Maße verwirklicht ist, die sicherste ist. Als einer der Ersten hat Spinoza
erkannt, dass diese Lösung die vorteilhafteste ist. Und auch Kant missfiel es, dass sich das
Individuum nur aus Angst vor Strafe zu korrektem Verhalten genötigt fühlen sollte. Das
Ideal, vielleicht sollte man sogar sagen: die Utopie der Aufklärer bestand im korrekten
Verhalten als Ergebnis einer frei gereiften Überzeugung.
In den mit Angst vor göttlicher Strafe belegten Geboten verbirgt sich die Gefahr einer
Theokratie, also einer Gesellschaft, in der kein Unterschied gemacht wird zwischen der
