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Giorgio Strehlers Inszenierung von Brechts «Leben des Galilei» wurde in der Spielzeit 1962/63 im Mailänder Piccolo Teatro
aufgeführt.
Galileos Tragödie ist ganz auf den Widerruf fokussiert, zu dem der große, fast
siebzigjährige Wissenschaftler am 22. Juni 1633 vor dem Tribunal der Inquisition
gezwungen wurde, um sein Leben zu retten. Auf Knien muss er auf dem nackten
Steinfußboden und im Büßerhemd die demütigende Formel, den vorgefertigten Text der
Abschwörung laut verlesen, mit der er seine wissenschaftlichen Entdeckungen verleugnet,
die ich hier in die heutige Sprache übertrage:
Von diesem heiligen Offizium bin ich aufgefordert worden, ich müsse die falsche Meinung, dass die Sonne der
Mittelpunkt der Welt sei und sich nicht bewege, und dass die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt sei und sich
bewege, ganz aufgeben und dürfe diese falsche Lehre nicht für wahr halten, verteidigen, noch in irgendeiner
Weise lehren, weder mündlich noch schriftlich; … da ich wünsche, Euren Eminenzen und jedem
Christgläubigen diesen gegen mich mit Recht gefassten Verdacht zu benehmen, schwöre ich ab, verfluche und
verwünsche ich mit aufrichtigem Herzen und ungeheucheltem Glauben besagte Irrtümer und Ketzereien … und
ich schwöre, dass ich in Zukunft niemals mehr etwas sagen oder mündlich oder schriftlich behaupten will,
woraus man einen ähnlichen Verdacht gegen mich schöpfen könnte.
In einer Mailänder Pfarrei wurde eine Novene[ 4 ] abgehalten, um dafür zu beten, dass die
Aufführung nicht zustande kommen möge. Tatsächlich aber wurde sie ein Erfolg von
europäischer Dimension. Brechts These war, dass Galilei den Widerruf akzeptiert und
damit die Wahrheit der Wissenschaft verrät, um am Leben zu bleiben und weiter seine
Forschung betreiben zu können. Dreiunddreißig Jahre vor Galileo war der Philosoph
 
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