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In der Auseinandersetzung ging es hauptsächlich um das Thema Armut, die zu einer so
entscheidenden Frage wurde, dass die «Spiritualen» und der Papst nicht davor
zurückscheuten, sich gegenseitig der Häresie zu bezichtigen. Noch 1389 (über anderthalb
Jahrhunderte nach Franziskus' Tod!) wurde der Franziskanerprediger Michele da Calci aus
Pisa, der zu den Armen Brüdern (Fratres de paupere vita) gehörte, in Florenz auf dem
Scheiterhaufen verbrannt. Die Geschichte seines Prozesses und Martyriums, erzählt von
einem anonymen Bruder (Storia di Fra Michele Minorita), ist einer der großen Texte des
14. Jahrhunderts in Italien. Dort sind sogar, wie in einer Live-Reportage, die Schreie der
Menge beschrieben, die auf dem Weg zum Scheiterhaufen an den Frater appelliert, seinen
Ideen abzuschwören: «Widerrufe, widerrufe!», schreien sie. Oder: «Du willst wohl
sterben, dumm, wie du bist!» Er widerrief nicht und starb, wie Giordano Bruno, abbrugiato
- «geröstet».
Umberto Eco lässt in seinem Roman Der Name der Rose eine seiner Figuren - Adson von
Melk - bei dieser Hinrichtung zugegen sein, von der er Zeugnis ablegt, indem er den Text
des anonymen Bruders paraphrasiert:
Das Feuer wurde entzündet, und Fra Michele, der schon das Credo gesungen hatte, stimmte nun auch das Te
deum an. Er mochte vielleicht acht Verse davon gesungen haben, da beugte er sich auf einmal nach vorn, als
müsse er niesen, und fiel zu Boden, denn die Stricke waren verbrannt. Und da war er schon tot, denn lange
bevor der Körper gänzlich verbrennt, stirbt man bereits an der Hitze, die einem das Herz zerspringen lässt, und
an dem Rauch, der einem die Lunge füllt. Dann brannte der Scheiterhaufen vollständig nieder wie eine Fackel.
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Franziskus hatte seit langem erkannt, dass die von ihm gegründete Bewegung zu groß
geworden war, um die Inspiration des Ursprungs kompakt durchzuhalten. Nach seinem
Ableben wird das offenkundig, und 1266, also genau vierzig Jahre nach seinem Tod,
beschließt die in Paris versammelte Spitze des Franziskanerordens aus Gründen der
Disziplin und der Doktrin, nur noch eine einzige autorisierte Biographie im Umlauf zu
belassen. Es ist die von Bonaventura da Bagnoregio, dessen bürgerlicher Name Giovanni
Fidanza war, Theologe und Philosoph, Professor an der Sorbonne, Generalminister des
Ordens, wegen seiner theologischen Weisheit bekannt als Doctor Seraphicus. Ein Mann
also, der alle erdenkliche Kompetenz für das mitbrachte, was zu schreiben war. Sein Text
wird als Legenda maior berühmt, wobei der erste der beiden Begiffe im mittelalterlich-
 
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