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fand: Edmund Backhouse. Hochintelli-
gent, aber schwer neurotisch, von sei-
nen ehemaligen Mitschülern und Kom-
militonen als verlogen und absonder-
lich charakterisiert, war Backhouse ein
blendender Geschichtenerzähler und
angemaßter Chinaexperte, der sich
›Originaldokumente‹ des kaiserlichen
Hofes selbst ausfertigte oder schreiben
ließ und die internationale Presse über
die unkritischen Londoner Times-Kor-
respondenten George Morrison (in Bei-
jing) und J. O. P. Bland (in Shanghai) mit
seinen ›Insidernachrichten‹ versorgte.
Heute würde er vielleicht als Klatschko-
lumnist über die Fürstenhäuser schrei-
ben - ein Tagesgeschäft mit Kurzzeit-
wirkung -, aber Kalkül und Zeitgeist
wollten es, dass seine Klatschgeschich-
ten selbst ›Geschichte‹ wurden.
noch heute zuweilen wider besseres
Wissen zitiert. Selbst in China wurde das
Buch übersetzt, da im ›Boxeraufstand‹
viele Dokumente zu Cixis Amtszeit ver-
nichtet worden waren und es manchem
Höfling gelegen kam, die Kaiserin-
witwe so diskreditiert zu sehen.
Die ›wahre‹ Cixi
Das tatsächliche Wesen Cixis wird erst
seit wenigen Jahren - unwillig - zur
Kenntnis genommen. Bis heute basiert
das Chinabild jener Zeit auf den Bü-
chern von Backhouse. Hugh Trevor-Ro-
per war es, der zur großen Bestürzung
vieler Sinologen nachweisen konnte,
dass dessen Werk eine Fälschung ist. Der
britische Historiker sieht Cixi als eine
Frau mit Energie, Findigkeit, Eigensinn
und Risikobereitschaft. Sie war reizbar
und dickköpfig - und sie verstand es, in
der konfuzianischen Männerwelt, die
Frauen geringschätzte, zu bestehen
und ihre Familie am von Intrigen ge-
prägten Kaiserhof zu schützen. Letzt-
lich war sie aber wohl, wie es Chinas be-
rühmter General Zeng Guofan erlebte,
so »unspektakulär wie Trinkwasser«.
Fälschungen
Nach dem Tod Cixis sah Backhouse seine
Chance gekommen. 1910 legte er eine
525 Seiten umfassende Darstellung mit
dem Titel »China under the Empress Do-
wager« vor, die J. O. P. Bland stilistisch
bearbeitete und als Gemeinschaftswerk
herausgab. Grundlage dieses Buches,
auf das sich fast alle Sinologen bei ihren
Forschungen über die Kaiserinwitwe
und die historischen Ereignisse stützten,
war das »Tagebuch seiner Exzellenz
Jing Shan«, das Backhouse angeblich
durch Zufall in die Hände gefallen war.
Das Diarium konnte zwar als Fälschung
entlarvt werden, aber das Machwerk
von Backhouse und Bland war bereits
ein solcher Erfolg, dass alle Einwände
beiseite geschoben wurden und
schließlich Gras über die Sache wuchs.
So wird »China under the Empress Do-
wager« zusammen mit der zweiten Ge-
meinschaftsarbeit, »Annals and Me-
moirs of the Court in Peking« (1914),
Literaturtipp
Hugh R. Trevor-Roper: Der Eremit
von Peking. Die Geschichte eines
genialen Fälschers. Frankfurt 2009.
Sir Edmund Backhouse fälschte
Dokumente, Tagebücher etc.,
erfand Freundschaften zu
Berühmtheiten, betrog US- und
britische Firmen, hielt Minister,
Kriegsherren, Familie und Freunde
mit absurdesten Geschichten zum
Narren - und fälschte ganz neben-
bei die chinesische Geschichte des
beginnenden 20. Jh.
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