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immer aggressiver, brüllt mit sich überschlagender Stimme: „Go out! Go out!“ Ich ver-
suche, sie zu beruhigen. Vergeblich. Langsam gerät die Situation außer Kontrolle, die Frau
ist wie von Sinnen. Abenteuerliche Geschichten schießen mir durch den Kopf, vor allem
die, dass die Verteidigung des Grund und Bodens mit Feuerwaffen in den USA gängige
Praxis ist. Wortlos steige ich in den Bus, hektisch fährt sie direkt vor unser Auto, sodass
wir auf gar keinen Fall weiter Richtung Fluss fahren können. Sie telefoniert aufgeregt. Ich
starte den VW, wende auf dem schmalen Weg und mache mich auf den Rückweg. Sie fährt
hinter uns her, bis wir den Cattle Guard passiert haben. Dort steigt sie aus und hängt eine
Kette vor die Durchfahrt. Mein Gott, war die Frau auf 180, vielleicht ist es am Fluss doch
ein bisschen zu einsam.
Wir setzen unsere Reise Richtung Loma fort, wo wir auf den Schreck erst einmal einen
Kaffee trinken. Unser nächstes Ziel ist erneut die Farm von Mike Lundy. Diesmal stoppe
ich auf dem Brule Way einen kleinen Truck. Wir erfahren, dass Mike vor fünf Minuten
nach Fort Benton gefahren ist. Das gibt es doch nicht! Jetzt will ich es wissen. Besuch
bei Jack, dem Direktor des Museum of the Northern Great Plains. Ich bin überrascht, als
mich ein älterer Herr von 81 Jahren begrüßt. Zurückhaltend hört er sich die Geschichte un-
serer Reise an, nach und nach wird er freundlicher. Er war Lehrer an der High School in
Fort Benton. Mike war sein Schüler, ebenso wie der Japaner Naganomi von der Nachbar-
farm. Jack meint, dass Mike wirklich sehr speziell sei. Er wird uns vielleicht erlauben, ein
paar Fotos vom Farmhaus aus auf das ehemalige Fort McKenzie zu machen, mehr aber
nicht. Wegen der Erntezeit, und weil er auch noch Farmland auf der Südseite des Missouris
besitzt, sei er schwer anzutreffen. Jack fragt mich, wo wir in Deutschland leben. „Hannov-
er“, antworte ich. Wie das im Leben manchmal so ist, hat Jack Freunde in Hannover und
war selbst einige Male dort. Ich muss mit in sein Büro, in dem ein Veranstaltungsplakat
einer hannoverschen Kirche hängt.
In der Nähe unseres Motels gibt es einen kleinen, mit Büchern und allerlei Krempel über-
füllten Bookstore. Elke kauft dort von E. Annie Proulx „The Shipping News“. Ich frage
den Eigentümer des Buchladens, ob er Mike Lundy kennt. Ja, den kenne er, aber besser
noch Mikes Bruder, der allerdings wegen Mordes im Gefängnis einsitzt. Er hat bei einer
Rangelei jemanden erschossen. Mein Gott, hier tun sich ja Abgründe auf. Der Nachmittag
verstreicht still, der Himmel ist fahl, ein leichter Wind weht mild, Schatten gleiten inein-
ander. In mir ist eine eigentümliche Wehmut, meine Gedanken lösen sich in melanchol-
ische Leere auf. Die Verschwommenheit des Vergehens beginnt Besitz von mir zu ergre-
ifen und es ist mir auf einmal egal, wie es weitergeht. Schon leicht widerwillig mache ich
mich erneut auf den Weg zur Farm von Mike Lundy. Mit jedem Kilometer schwindet meine
Lust auf einen Kontakt. Wir stoppen am „Dead End“-Schild, Lundys Pickup steht vor dem
Wohnhaus. Schlagartig wird mir bewusst, dass an diesem Verbotsschild unsere Reise auf
den Spuren von Maximilian Prinz zu Wied zu Ende ist. Fort McKenzie existiert nicht mehr,
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