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Es gibt keinen Ort, an dem Sie sich schneller eine lästige Infektion einfangen können als im Zug.
Schon deswegen sollten Sie mit Ihrem Sitznachbarn kein Wort wechseln. Geheimtipp: Tragen Sie
einen Mundschutz, auch wenn Sie kerngesund sind. Natürlich sind Sie auf diese Weise vor den Vi-
ren der Mitreisenden geschützt, aber weitaus wichtiger ist, dass Sie mehr Platz haben, weil kaum
jemand sich freiwillig neben Sie setzt. Nähert sich doch ein Unerschrockener, geben Sie ein keu-
chendesHustengeräuschvonsich,undschüttelnSiesichdabeieinwenig.Dassolltedievorwitzige
Person schnell wieder vertreiben.
Wenn ein Zug einfährt und am Bahnsteig die Massen stehen, die hineinwollen, wird jedes Mal ein
Ritual aufgeführt, von dem sich erfahrene Railrotter möglichst fernhalten. Es ist der Wettbewerb,
wer als Erster in den Zug einsteigt. Wem dies gelingt, dem sind offenbar Glückseligkeit, Reichtum
und jederzeit verfügbarer Sex versprochen. Anders lässt sich nicht erklären, warum bienenstock-
artiges Gewimmel vor den Türen herrscht. Besonders absurd wird der Tanz dadurch, dass ein Zug
vor dem Anhalten vielleicht noch 10 oder 20 Meter in Schrittgeschwindigkeit dahingleitet, bevor
erendgültig steht. Währenddessen schiebt sich derPulkmit dem ZugüberdenBahnsteig, während
jeder versucht, direkt vor der Tür zu landen. Schließlich kommt der Zug zum Stehen, die Türen
öffnen sich - und die Leute sind drauf und dran, mit ausgefahrenen Ellenbogen und vorgerück-
ten Koffern einzusteigen. Dummerweise - und zum allgemeinen Erstaunen am Bahnsteig - wollen
vorheranderedenZug verlassen .DieLogikgebietet,dasszuerstalleaussteigensollten,bevorneue
Passagiere einsteigen, doch im Kampf um den Sitzplatz ist die Logik längst verloren gegangen und
durch das Recht der Wildnis ersetzt worden. Nun steigen die angekommenen Fahrgäste aus, doch
sobald sich auch nur die kleinste Lücke auftut und einer nicht schnell genug seine zwei Koffer die
Zugtreppe runtergezerrt hat, stößt jemand von der Bahnsteigkante vor wie ein Krokodil ins Was-
serloch. Natürlich rauscht der Mob gleich hinterher, während diejenigen, die noch im Zug stehen,
sich nur an die Wände und Fenster pressen können, um die Welle abzuwarten. Erfahrene Railrotter
halten Abstand von diesem Nahkampf. Sie haben sowieso eine Reservierung und suchen entspannt
ihren Platz auf, sobald sich die verwirrte Masse verflüchtigt hat.
ZudemscheintdiekognitiveLeistungsfähigkeitderBahnfahrermitgrößeremGepäckabzunehmen.
WarumsonstsolltendieLeutemitKoffernvonderGrößeeinesHeizöltanksimmerdiejenigensein,
die im falschen Waggon einsteigen und sich dann erst mal durch den gesamten Zug zu ihrem Platz
vorarbeiten müssen, während alle anderen in die Gegenrichtung wollen? So etwas passiert Ihnen
nicht - dank Ihrer Weisheit und Lebenserfahrung wissen Sie, dass die Waggons außen am Zug
nummeriert sind. Eine Erkenntnis, die sich noch nicht bei allen Menschen durchgesetzt hat.
AlsRailrotter werdenzudem IhreImprovisationskünste aufsÄußerste gefordert. Rechnen Sieimmer
damit, eine der folgenden Situationen meistern zu müssen:
Die Heizung im Zug fällt aus. Das passiert in der Regel im Winter. Betreten Sie zwischen Oktober
und März also niemals einen Zug ohne Heißgetränk, am besten im Thermobecher. Eine batteriebe-
triebene Taschenheizung ist ebenfalls zu empfehlen.
Die Heizung im Zug läuft auf höchster Stufe. Das passiert in der Regel im Sommer. Tragen Sie
immereineBadehoseodereinenBikinidrunter,wennSiezueinerlängerenReiseaufbrechen.Spä-
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