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Aber glauben Sie nicht dem Klischee, dass die bayerische Hauptstadt großen Wert auf Folklore legt.
Nein, inzwischen ist München somodern geworden, dassesseinen ursprünglichen Hangzum Volks-
tümlichen komplett abgelegt hat. Alles, was Sie mit Bayern in Verbindung bringen, ist nur noch ein
Trick, mit dem Touristen besänftigt werden. Wenn Sie in München jemanden sehen, der wie ein ech-
ter Bayer aussieht (Lederhosen, Gamsbart am Hut, Vollbart am Kinn, Weißbier trinkend), dann han-
delt es sich dabei um einen von der Stadtverwaltung bezahlten Schauspieler. Die meisten von ihnen
stammen gar nicht aus Bayern und haben in einem sechsmonatigen Abendkurs den gutturalen baye-
rischen Dialekt gelernt. Sie sind angehalten, mit Touristengruppen zu posieren, schweigend im Bier-
gartenzusitzenoderSelbstgesprächeführendinderFußgängerzoneaufundabzulaufen.Redetman
mitihnen,bleibensievollständiginihrerRolle,schimpfenüberdiePreußenundmurmelnetwasvom
Herrgott.
DieechtenMünchnerhabeninzwischennormaleBerufeerlernt,sitzeninderS-BahnoderimBüro,
und haben abends noch einen Zweitberuf als Heizungsinstallateur oder Hundefriseur, um die Miete
zahlen zu können.
Sollten Sie es aus anderen Städten gewohnt sein, dass die Fluchtwege leicht zu erreichen sind, müs-
sen Sie als Flugreisender in München umdenken. Der Flughafen von München ist derart abgelegen,
dass er auch als Flughafen von Ingolstadt durchgehen könnte. Die Anfahrt dorthin ist schon so auf-
wändig, dass sie als eigene Reise gilt, und sollte bei einer Fernreise als relevanter Teil eingeplant
werden.
StellenSiesichvor,dasseineStadtabgeriegelt wirdunddieMenschensichaufengstemRaumdrän-
geln. Jede Art von Moral und Kultur wird vergessen, Hygiene gehört der Vergangenheit an. Es wer-
den am laufenden Meter Verbrechen gegen die Menschlichkeit vollführt, es gibt immer wieder Ge-
waltausbrüche, und die Ordnungsmacht ist hilflos im Angesicht der Massen.
Das ist kein Ereignis aus dem Zweiten Weltkrieg, sondern das alljährliche Oktoberfest.
Stubenhocker sind nicht unbedingt darauf aus, auf U-Bahn-Gleise geschubst oder von Starkbierge-
schädigten angepöbelt zu werden, daher meiden Sie dieses sogenannte Volksfest weiträumig. Zumal
währendderFeierlichkeitendiegewohntenWährungennichtgelten-eswirdnichtmehrinEuroum-
gerechnet, sondern in »Maß Bier«, und alljährlich wird ein Ritual aufgeführt, in dem man sich über
deren Preis zu echauffieren hat. Auch das überlassen Stubenhocker den anderen.
Frankfurt
Durch die Geschichte der Mainmetropole zieht sich ein zentrales Motiv: Frankfurt ist die Stadt, die
beiallemzukurzgekommenistundimmernochnichtdenPlatzinderWeltgeschichteeingenommen
hat, der ihr rechtmäßig zusteht - außer in den Köpfen der Frankfurter selbst.
Das begann schon mit der Stadtgründung. Diese fand nicht etwa statt, weil sich dort so ein lauschi-
ges Plätzchen befand oder weil der Boden besonders gut für die Petunienzucht geeignet wäre, nein,
es gab genau eine felsige Stelle, an der man den Main überqueren konnte, ohne spontan zu ertrinken.
Damit war die Grundlage für die Geisteshaltung dieser Stadt gefunden: Wer in Frankfurt ist, sucht
nach Möglichkeiten, möglichst unauffällig wieder verschwinden zu können. Kein Wunder, dass we-
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