Travel Reference
In-Depth Information
Von abgebissenen Nasen und Nächstenliebe
Da jeder anständige Ungar auch heute noch Schnurrbart trägt,
sollten die Magyarinnen zu den letzten Frauen Europas zählen,
die solche Wonnen noch zu schätzen wissen. Bei jedem inter-
nationalen Bartwettbewerb nämlich stellt der »Hungarian style«
eine eigene Kategorie dar: »groß und buschig, ausgehend von der
Mitte der Oberlippe zu den Seiten auslaufend. Die Haare dürfen
dabei maximal 1,5 Zentimeter über die Unterlippe hinausragen.«
Der Duft von Tabak wird allerdings von der Damenwelt weniger
goutiert, weshalb sich in einem französischen Chanson der Lieb-
haber auch Butter ums Maul schmiert, statt des sprichwörtlichen
Honigs.
Sokrates, mit der angeblich zänkischen Xantippe verheiratet, ließ
jedenfalls kein gutes Haar am Kuss, er sei eine Bedrohung des küh-
len Verstandes, so sein Argument in einem Dialog mit dem antiken
Feldherrn Xenophon - eine Berührung des Mundes, die schlim-
mere Wunden reißen könne als der Stich eines giftigen Skorpions.
Ein Kuss, der erzwungen oder zumindest errungen wurde, hatte
im Zeitalter vor der weiblichen Emanzipation jedenfalls keinerlei
rechtliche Folgen zu befürchten - ein schöner Mund galt einfach
als zu verführerisch für das in dieser Hinsicht schwache männliche
Geschlecht. Ein »Kuss in Ehren« könne nicht anders als »züchtig«
sein, so ein deutsches Sozialgesetzbuch aus dem 19. Jahrhundert,
»eine große Kleinigkeit«. Ganz im Gegenteil zum progressiven eng-
lischen Recht: Als 1837 ein gewisser Thomas Saverland eine Dame
verklagte, die ihm die Nasenspitze abgebissen hatte, obwohl er sich
ihr doch nur scherzhaft zu einem Kuss genähert habe, gab das Ge-
richt dem Fräulein Caroline Newton recht. »Wenn ein Mann eine
Frau gegen ihren Willen küsst«, unterstrich der Richter, »hat sie
einen guten Grund, ein Stück aus seiner Nase zu beißen.« »Und
aufzuessen«, ergänzte der Strafverteidiger.
Search WWH ::




Custom Search