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te den Kuss kühn als »feurige Untermalung auf der Tastatur der
Zähne, welche den süßen Liebesgesang in den brennenden Herzen
begleitet«. Im französischen Original kommt die Poesie dieses Ge-
dankens natürlich besser zum Tragen als in der analytischen Sach-
lichkeit des Deutschen.
Viele der Kuss-Sorten, die Nyrop akribisch recherchiert hat, sind
der Nachwelt leider verloren gegangen: Was verbarg sich wohl hin-
ter »Feuerkuss«, »Geisterkuss«, »Honigkuss«, »Minnekuss« oder
»Nebenkuss«? Auch der »Kartoffelkuss« lässt Fragen offen. Da die
Deutschen ein gründliches Volk seien, so der Däne, und groß im
Determinieren, sei ihre Sprache auch mit einer Vielzahl präzisie-
render Verben gesegnet: »anküssen, aufküssen, ausküssen, beküs-
sen, durchküssen, emporküssen, entküssen, erküssen, fortküssen,
herküssen, nachküssen, verküssen, vorbeiküssen, wegküssen, wi-
derküssen, zerküssen, zuküssen und zurückküssen.« Es sagt viel
über die Moderne aus, dass wir uns von diesem Kuss-Kaleidoskop
eigentlich nur noch das »Zurück«- und das »Emporküssen« vor-
stellen können.
Ein Kussmund, so Nyrop, werde schon in den Minnegesängen des
Mittelalters beschrieben und habe »schön«, am besten »korallenrot«
und vor allem auch »süß« zu sein. Honi soit qui mal y pense - wenn
der Kuss dabei mit einer Rose verglichen wird, die zum Plücken
reif sei. Heute, in einer Zeit, in der Körperbehaarung unterhalb
der Schädeldecke als unappetitlich gilt und deshalb entfernt oder
auch durch Tätowierungen ersetzt wird, kann man sich kaum mehr
die Qualen eines rumänischen Dichters vorstellen, der fürchtete,
wegen seines schwachen Bartwuchses nicht geküsst zu werden. Die
Erotik des haarigen Kusses zieht sich, so Nyrop, quer durch Euro-
pa: »Ein Kuss ohne Bart ist wie eine Vesper ohne Magniicat«, heißt
es auch in der deutschen Literatur.
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