Travel Reference
In-Depth Information
ist oder wie er heißt, aber dieser Typ hat mir heute Nacht den Hals gerettet. Und ihm, mit
seinem inneren Nebelkompass, gebührt noch mal ein dickes Dankeschön.
Endlich zurück im Zelt brauche ich einige Minuten im Schlafsack bis ich wieder
aufgewärmt bin. Ich versuche zu schlafen. Keine Chance. Obwohl ich mich bemühe
und hundemüde fühle, kann ich einfach nicht einschlafen. Die Kopfschmerzen und der
Reizhusten tun ihr übriges und so liege ich wach und belle die Eiskristalle an, die sich lang-
sam an der Decke des Zeltes bilden.
Wenn man eines hat bei so einer Bergbesteigung, dann ist es Zeit zum Nachdenken. Zeit
und noch mal Zeit. Was soll man hier auch sonst großartig machen. Erst recht, wenn man
wie ich alleine und nicht in einer Gruppe mit mehreren Klienten reist. Anfangs ist das noch
sehr befremdlich. Die natürliche Stille, die gerade das Lager umgibt und die annähernd un-
berührte Natur machen auf mich, der den Großteil seiner Zeit in der lauten, reizüberfluteten
und von Hektik getriebenen Stadt verbringt, einen irritierenden Eindruck. Im stressigen
Alltag macht man oft zehn Dinge gleichzeitig. Aber hier am Berg ist man einzig auf sich
und die Natur fixiert. Kein Handy, kein nervender Chef oder andere Geiseln der Zivilisa-
tion, die dich täglich wie ein Hamster im Rad laufen lassen. Nur du. Ursprünglich, als
ich mich entschloss nach Tansania zu fliegen, wollte ich diese Reise und insbesondere
diese Bergbesteigung dazu nutzen, um mir Gedanken über mein Leben in Deutschland und
meinen täglichen Lauf im Hamsterrad zu machen. Ich wollte wissen, ob ich diesen gan-
zen uniformen, stressigen und mit heißer Nadel gestrickten Einheitsbrei im Management in
meinem Lebenslauf überhaupt brauche und auch will, oder ob ich ausbrechen, mein Leben
auf links drehen und dem unbändigen Drang, die weite Welt zu erkunden und mich selbst
neu zu finden, nachgeben sollte. Ob ich nach meinen drei Abenteuerwochen in der Wildnis
weiter in meinem miserabel honorierten Job und mit einem inkompetenten Chef zurück-
kehren möchte, oder den Schritt gehe, der mich seit dem Abitur permanent beschäftigt, den
ich aber aus Feigheit und Bequemlichkeit nie gegangen bin: den Schritt ins Ausland. Dazu
komme ich aber irgendwie nicht. Zum einen bin ich genug mit mir selbst als leidender
Bergsteiger beschäftigt, zum anderen habe ich mir in Afrika, und spätestens mit dem ersten
Fuß, den ich auf diesen Berg gesetzt habe, geschworen, keinen weiteren Gedanken mehr an
mein Leben in Deutschland zu verschwenden. Lediglich im Hier und Jetzt leben. Gegen-
wärtiginTansaniamöchteich,dassichnichtnurräumlich, sondernauchmental durchüber
6.600 Kilometer Luftlinie von meinem Alltag getrennt bin. Vielleicht, und wahrscheinlich
wird es genau das sein, habe ich aber einfach nur Furcht und scheue das, was eine tief-
gründige Auseinandersetzung mit mir selbst zutage fördern könnte. Womöglich etwas, das
nicht so einfach mit ein paar Flugtickets oder einem prall gefülltem Bankkonto gelöst wer-
Search WWH ::




Custom Search