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um den nicht unbeträchtlichen Flüssigkeitsverlust am Berg auszugleichen. Hasani bringt
mir gegen 19 Uhr das Abendessen und tafelt für nur eine Person unverständlich viel auf.
Aber die Mühe hätten sich er und mein Koch Juma heute auch sparen können. Anschein-
end ist Gasper der Meinung, dass ich ordentlich etwas essen sollte, um wieder zu Kräften
zu kommen. Da muss ich ihn enttäuschen. Ich habe keinen Hunger und noch weniger Ap-
petit. Aber ich weiß, dass ich etwas essen muss, um nicht noch schwächer zu werden. Und
so quäle ich mich eine Stunde, um eine Schüssel Instantsuppe, zwei Scheiben Ananas und
ein paar Löffel Reis runterzuwürgen. Ich finde das auch jämmerlich, aber so ist die Realität
nun mal.
Im Zelt wird es jetzt trotz zweier Mittelklasse-Schlafsäcke, einen von der Company
geliehen und einer von Freunden geborgt, spürbar kälter. Zwei Mittelklasse-VW Golf in
derGarage machen offenbar dochnochkeinen Luxus-Porsche. Daher binich auch alles an-
dere als begeistert, dass ich dem Ruf der Natur folgend das schützende Zelt verlassen muss.
Draußen ist es bitterkalt und die Nacht ist pechschwarz. Von mir im Zelt völlig unbemerkt
geblieben, liegt das Tal mittlerweile unter einer geheimnisvollen Nebelschicht. Warm an-
gezogen, mit meiner Stirnlampe am Kopf und der überlebenswichtigen Klorolle unter dem
Arm, wage ich mich in die Dunkelheit. Meine Profilampe, die unter normalen Bedingun-
gen den halben Berg ausleuchten kann, versagt hier völlig. Der Nebel ist so massiv, dass
der Lichtkegel mir gerade mal ein Sichtfeld auf Armlänge ermöglicht. Aus der Erinnerung
von meiner Ankunft heute Nachmittag im Lager weiß ich noch, dass zirka fünfzig Meter
hintermeinemZelteinkleines,bretterbeschlagenes Klohäuschensteht,aberauch,dasssich
dort irgendwo ein unbehaglicher Abhang zu meiner Rechten befindet. Ich laufe trotzdem
los. Ein Fehler. Nur wenige Meter vom Zelt entfernt, habe ich vollends die Orientierung
verloren. Ich sehe weder mein Zelt noch irgendeinen Anhaltspunkt, um mich zu orientier-
en und taste mich Schritt für Schritt durch die weiße Nebelsuppe. Mein eigentliches Ziel,
das Klohäuschen zu finden, habe ich längst aufgegeben und möchte nur noch unbeschadet
zu meinem Zelt zurückfinden. Aber einfach so nach dem Weg fragen geht auch nicht. Wie
auch? Lässig an irgendeinem Zelt, in dessen Schnüre ich mich mit den Beinen verheddere,
klopfen und freundlich sagen: „Excuse me. Have you seen my small green tent?“ Aus-
sichtslos. Zum einen kennt mich hier keine Sau und zum anderen ist jedes dritte Zelt in
diesem nebelaffinen Lager klein und grün. Schöner Mist, denke ich mir und prüfe gedank-
lichschondieOption,ineinemanderenZeltumAsylbiszumMorgengrauenzubitten.Un-
erwartetundwieausdemNichtsstehtplötzlicheindunkelhäutigerMannvormir,bestimmt
irgendein Porter, und sagt nur: „Toilet there!“ Er dreht mich in die richtige Richtung und
schickt mich los. Unfassbar, nach zehn Metern finde ich tatsächlich den Holzverschlag, der
als Klo fungiert. Profi wie ich bin, verirre ich mich natürlich nach getaner Arbeit auf dem
Rückweg zum Zelt erneut. Doch wie in einem schlecht inszenierten Film taucht mein neuer
Kumpel wieder auf und führt mich direkt zum Zelt zurück. Ich weiß zwar nicht, wer er
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