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Anders als der Name verheißt, ist die
Schiffbauergasse kein schmales Sträß-
chen, sondern ein 12 ha großes Ge-
lände, das wie eine Halbinsel vom Was-
ser der Havel umspült wird und eine
einzigartige Mischung aus Kunst, Kul-
tur, High Tech, alten Industriebauten
und Lokalen in sich vereint. Während
man an der kleinen Marina mit Schiffs-
anlegestelle, Floßstation und Wasser-
sportschule beim Wein sitzt, schweift
der Blick über die Havel, auf der regel-
mäßig Dampfer vorüberziehen, hinü-
ber zum Schloss Babelsberg und dem
Flatowturm inmitten des von Fürst
Pückler gestalteten Landschaftsparks.
teilten sich die Rote Armee, die Natio-
nale Volksarmee der DDR, der russische
Geheimdienst KGB und die VEB Textil-
reinigung das Gelände.
Konzerte, Theater und
Fluxuskunst
In den 1990er-Jahren eroberten nach
und nach freie Kulturträger das Ge-
biet. Aus der alten Fabrik wurde ein
Ort für zeitgenössischen Tanz, wo
heute regelmäßig die Potsdamer Tanz-
tage stattfinden, aus dem historischen
Waschhaus und dem T-Werk die
Kulisse für Rock- und Jazzkonzerte,
Performances oder Filmabende. Nach-
dem das Potenzial des Areals erkannt
und fast 95 Mio. € in seine Sanierung
investiert worden waren, siedelte sich
im ehemaligen Koksseparator der Gas-
anstalt der Software-Riese Oracle an,
in einem benachbarten Neubau ka-
men das VW Design Center Potsdam
und mehrere Jungunternehmer unter.
In der früheren Zichorienmühle, einem
neogotischen, mühlenartigen Gebäude
von Ferdinand Ludwig Hesse, befindet
sich heute das italienische Edelrestau-
rant Il Teatro.
Größte Errungenschaft und Symbol
des neuen Kulturstandorts ist zweifels-
ohne das 2006 eröffnete Hans-Otto-
Theater . Zwei Jahre später war das
Kunstmuseum Fluxus+ fertig. Schwer-
punkt der Sammlung von Installatio-
nen, Fotos, Filmen, Videos und ande-
ren Objekten sind Arbeiten des Fluxus-
künstlers Wolf Vostell. In einem
zweiten Ausstellungskomplex werden
unter dem Motto »Kunst ist Leben, Le-
ben ist Kunst« Werke anderer Künstler
aus der zweiten Hälfte des 20. Jh. wie
Ann Noël oder Constantino Ciervo so-
wie zeitgenössischer Kreativer präsen-
tiert. Längst ist die vielbesuchte Schiff-
bauergasse Vorbild für andere alte In-
dustriestandorte geworden.
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Dampfschiffe, Ersatzkaffee und
der KGB
Das Areal hat im Lauf der Jahrhun-
derte die unterschiedlichsten Entwick-
lungen durchgemacht. Im 17. Jh. brei-
teten sich hier noch Wiesen und Äcker
aus, im 18. Jh. ließ Friedrich der Große
in einer Zichorienmühle den Ersatz-
stoff für das verbotene, weil zu teure
Modegetränk Kaffee herstellen, im frü-
hen 19. Jh. wurden Dampfschiffe ge-
baut. Als das Unternehmen des schot-
tischen Dampfschiffbauers John Bar-
nett Humphrey 1821 zum Erliegen
kam, nahm an seiner Stelle 1856 die
erste große Gasanstalt Deutschlands
ihren Betrieb auf. Die Schlote, Gasbe-
hälter, Kohlelager und Ofenanlagen
prägten bis zur Schließung 1990 das
Bild der Schiffbauergasse.
Parallel dazu wurde das Gelände im-
mer schon militärisch genutzt. 1822
hatte Schinkel eine Reitstallanlage und
eine Reithalle, die sogenannte Schin-
kelhalle für Gardehusaren entworfen.
Unter Friedrich Wilhelm III. kamen eine
Kaserne für ein Regiment von 600 Hu-
saren und Funktionsgebäude wie die
königliche Garnisons-Dampfwäscherei
dazu. Nach dem Zweiten Weltkrieg
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