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Angesichts dieses Booms und in sicherer Erwar-
tung von Größerem setzte schon zwei Jahre spä-
ter rege Bautätigkeit ein; es galt Versäumtes
nachzuholen. Was in dieser und der Folgezeit ge-
baut wurde, entsprach so recht dem verquasten
Stil der damaligen Jahre, der heute nicht gerade
als schön empfunden wird. Dennoch gelang es
trotz mancher Verlockungen, ein Ausufern der
Neubaumanie in Gestalt hässlicher Hochhäuser
und Betonklötze zu vermeiden. „Juist City“ behielt
einen gewissen dörflichen Charakter, der bis heu-
te das Bild bestimmt und zum rustikalen Reiz der
Insel beiträgt.
Piraten auf der „Lita“
An voriger Stelle ist wiederholt von Plünderungen gestrandeter Schiffe
auf Juist die Rede gewesen. Nun - das war „früher“ geschehen, als die Zi-
vilisation noch nicht so recht Einzug auf der Insel gehalten hatte. Aber im
Jahr 1976 kam es zu einem betrüblichen Rückfall, der darauf schließen
lässt, dass sich unter dem Firnis der modernen Kultur immer noch ein
guter Teil der alten Mentalität verbirgt.
Bei der Ausfahrt von Norderney nach Westen erlitt der Dreimastscho-
ner „Lita“ Motorschaden und trieb auf Juist an den Strand. Da das Wetter
ruhig war, wurde der Havarist für eine Nacht von seiner Besatzung ver-
lassen, um Bergehilfe zu organisieren.
Als der Eigner - ein Musikprofessor aus Wien, der auf große Reise ge-
hen wollte - am folgenden Morgen zurückkehrte, war die „Lita“ so kom-
plett ausgeplündert, dass von einer Weiterfahrt keine Rede mehr sein
konnte. Nicht nur Insulaner hatten sich dem Beuterausch hingegeben.
Auch artige Touristen waren an dem Raubzug beteiligt gewesen, um
„Souvenirs“ zu erhaschen. Ein Andenken von der „Lita“ - welch glorioses
Mitbringsel! Und nicht nur hatte man geklaut, was gerade mal handlich
herumlag. Auch niet- und nagelfeste Anker, Propeller und Beschläge wa-
ren abgetakelt und fortgeschleppt worden. Selbst Küchen-, elektrische
und Navigationsgeräte hatte man aus den Wänden gerissen und ge-
stemmt, die Maschinenanlage völlig zerstört. Versteht sich, dass auch die
Bordbibliothek einem neuen, wichtigeren Zweck zugeführt worden war.
Die „Lita“ war nur noch eine leere Hülse, ein menschengemachtes
Wrack. Der verzweifelte Professor, der seine Lebensersparnisse in den
zuvor prächtigen Schoner gesteckt hatte, gab Schiff und Reisepläne auf
und kehrte nach Österreich zurück, wo er, wie man annehmen darf, we-
nig freundliche Worte über die Nordseeküste und ihre Bewohner ver-
breitete.
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