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Die Pestmauer
in den
Vaucluse-Bergen
Schon ab dem 20. Juni wurden die ers-
ten Opfer publik; die Pest breitete sich wie
ein Lauffeuer in den Armenvierteln aus.
Doch erst am 31. Juli, 67 Tage nach An-
kunft des Schiffes, gaben die Senatoren die
Seuche offiziell bekannt. Bis dahin hatte sie
sich jedoch längst über die Handelsstraßen
ausgebreitet, vor allem in Aix, dem Luberon
und den Alpilles. Überall in der Provence
errichtete man Barrieren, und Soldaten be-
wachten die Flussübergänge.
Am 21. August verbot der Vize-Legat
Rainier d'Elci der päpstlichen Grafschaft Ve-
naissin jeglichen Handel mit der südlichen
Provence und verbot kurz darauf auch je-
den Verkehr in den Vaucluse-Bergen. Da-
mit nicht genug: Im Februar 1721 einigten
sich Vertreter des Venaissin und des König-
reichs Frankreich, eine Mauer quer durch
die Berge zum Schutz ihrer Gebiete zu er-
richten. Sie sollte von Monieux bis zur
Schlucht von Cabrières den Bergkämmen
folgen. Die Arbeiten, meist ausgeführt von
Landarbeitern, Vagabunden und sogar Kin-
dern, gingen wegen der Unwegbarkeit des
Gebietes nur langsam voran. Im Juli 1721
schließlich stand die Mauer, schwer be-
wacht von 1000 Soldaten des Papstes.
Trotzdem erreichte die Pest kurz darauf,
Ende August, Avignon und das Comtat Ve-
naissin. Die königlichen Truppen lösten die
päpstlichen an der Mauer ab, deren Be-
stimmung nun umgekehrt verlief: Statt des
Comtats schützte sie die Provence, wo die
Seuche schon fast wieder erloschen war!
Erst im Januar 1723 war die Pestgefahr
auch im Comtat völlig gebannt.
Reste dieser einst 2 m hohen und 25 km
langen Mauer, wegen der Hast recht unso-
lide gebaut, sowie viele kleinere Hütten für
die Wachposten finden sich bei Cabrières
d'Avignon und nördlich von Murs.
Am 25. Mai 1720 fuhr das Schiff „Le
Grand St-Antoine“ in den Marseillaiser
Hafen ein. An Bord hatte es nicht nur eine
wichtige Fracht syrischer Textilien, sondern
auch - die Pest. Ordnungsgemäß erstatte-
te Kapitän Chataud der Gesundheitsbehör-
de Bericht. Und ebenso ordnungsgemäß
entschied man zunächst, dass Teile der Be-
satzung und der Fracht in 40-tägige Qua-
rantäne auf die Ile de Jasse geschickt wer-
de sollten, jene Händler und Stoffe näm-
lich, die am verdächtigsten waren, die
Krankheit zu transportieren. Gemäß einer
neuen Anordnung vom 3. Juni sollten je-
doch plötzlich alle Händler auf dem Fest-
land medizinisch behandelt werden. Ein hu-
manitärer Akt etwa? Nein, schon eher rein
wirtschaftliches Interesse. Befand sich doch
unter den verantwortlichen Stadtverordne-
ten ein gewisser Monsieur Estelle - und
diesem Herrn gehörte ein wichtiger Teil der
Fracht ...
Er schaffte es tatsächlich, seine zweifellos
verseuchten Stoffe schon nach 26 Tagen
- statt nach 40 - ausgeliefert zu bekom-
men und weiterzuverkaufen, denn schließ-
lich fand im Juli die Messe von Beaucaire
statt, die größte der Provence. Die Marseil-
laiser Verantwortlichen zu überzeugen, war
nicht schwer, litt doch die 80.000 Einwoh-
ner zählende Stadt unter einer schweren
wirtschaftlichen Krise, und die Fracht der
„Grand St-Antoine“ versprach zumindest
Linderung.
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