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Der Kosmos als ein sich entwickelnder Organismus
Der Philosoph David Hume (1711-1776) ist heute vielleicht vor allem für seine skeptische
Haltung gegenüber der Religion bekannt. Genauso skeptisch war er aber gegenüber der
mechanistischen Naturphilosophie. Aus seiner Sicht beweist nichts im Universum, dass
es mehr von einer Maschine als von einem Organismus hat. Die in der Natur erkennbare
Ordnung, so schien ihm, ist eher derjenigen von Pflanzen und Tieren vergleichbar als
derjenigen von Maschinen. Er wandte sich gegen die Idee eines Maschinen bauenden
Gottes und sah es als wahrscheinlicher an, dass die Welt aus so etwas wie einem Samen
oder Ei entstanden sei. In seinen eigenen, 1779 posthum veröffentlichten Worten:
Es gibt im Universum andere Anteile (als die von Menschen erfundenen Maschinen),
an denen mehr vom Gewebe der Welt zu erkennen ist und die folglich bessere
Schlüsse auf den universalen Ursprung des Systems zulassen. Diese Anteile sind die
Tiere und Pflanzen. Die Welt ähnelt ganz einfach eher einem Tier oder Gemüse als
einer Uhr oder einem Strickrahmen … Und ist nicht ein Tier oder eine Pflanze, die
der Vermehrung entspringen, der Welt ähnlicher als jede künstliche Maschine, wie
sie dem Denken und einem Bauplan entspringt? [102]
Im Licht der modernen Kosmologie kann man Humes Weitblick nur bewundern. Bis in
die sechziger Jahre des vorigen Jahrhunderts dachten sich die meisten Wissenschaftler
das Universum als Maschine, dazu noch als eine ablaufende Maschine, die ihrem »Wär-
metod« entgegenstrebte. Nach dem 1855 formulierten zweiten Hauptsatz der Thermody-
namik wird es im Universum im Laufe der Zeit immer weniger energetische Potenzialdif-
ferenzen geben und die Fähigkeit, irgendetwas zu bewirken, wird zum Erliegen kommen.
Am Ende steht, wie es Lord Kelvin ausdrückte, »ein Zustand von universaler Ruhe und
Tod«. [103]
1927 stellte Georges Lemaître, ein Kosmologe und katholischer Priester, die Hypo-
these auf, die etwas von Humes Idee vom Ursprung der Welt in einem Ei oder Samen
hatte. Aus seiner Sicht begann das Universum wahrscheinlich mit einem »schöpfung-
sähnlichen Augenblick«, den er als das »im Augenblick der Schöpfung explodierende Ei«
umschrieb. [104] In dieser neuen Kosmologie, später Urknall genannt, klangen viele archa-
ische Ursprungsgeschichten an, etwa der altgriechische Schöpfungsmythos vom kosmis-
chen Ei oder der altindische Mythos vom Hiranyagarbha oder Goldenen Ur-Ei. [105] Die
Ei-Metapher enthält einen wichtigen Hinweis, nämlich dass der Ur-Anfang sowohl eine
Einheit als aus eine Polarität war. Ein Ei stellt eine polarisierte Einheit dar, da es aus
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